Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
kennst dich mit diesen Bildern aus. Was haben wir deiner Meinung nach zu erwarten?«, fragte Magda nach.
    Clara überlegte eine Weile und meinte dann: »Man sagt, dass der Spiegel nicht nur das Antlitz des Menschen zeigt, sondern es heißt auch, dass er seine Seele festhält. Der dunkle Spiegel bedeutet, dass die Seele verloren ist – er bedeutet den Tod!«
    »Eine von uns wird sterben!«, schrie Mettel auf und hielt die Hand an die Brust gedrückt.
    »Na, na, na. Beruhigt euch. Rigmundis’ Visionen enthalten zwar immer einen Kern von Wahrheit, aber so gewaltig, wie sie sich ankündigen, sind die Ereignisse dann doch nicht, die wirklich eintreten«, beruhigte Magda die Aufgeregten.
    Almut spielte, wie um sich selbst zu beruhigen, auf die vergangenen Visionen an: »Ja, erinnert euch doch, als sie von dem grauenvollen Feuer speienden Ungeheuer träumte, das von den Bergen jenseits des Rheines kommen sollte. Wir erwarteten eine verheerende Feuersbrunst, doch lediglich Trine hat ihren Strohsack angesengt. Den schwarzen Hauch, der uns von Osten anwehen sollte, deuteten wir als weitere Pestepidemie und sahen uns schon von der Seuche dahingerafft, aber es war nur Mettel, die die Kuhpocken bekam. Und als Rigmundis von dem Wurm träumte, der sich unter der Erde wand, da erwarteten wir, dass die Stadt von einem Erdbeben verwüstet und wir unter den Trümmern unserer Häuser begraben würden. In diesem Fall gab es zwar einen leichten Ruck, wie es schon mehrmals passiert ist, aber einzig und allein der alte Schweinestall stürzte ein und begrub drei unausgebrütete Eier unter sich. Also wird sich diesmal vermutlich Clara einen Finger verstauchen, wenn sie Thea das nächste Mal hilft, einen Toten aufzubahren.«
    Magda gab sich große Mühe, ein ernstes Gesicht zu bewahren, denn Clara zog eine beleidigte Miene. Rigmundis und ihre Bewunderinnen wollten aufbegehren.
    »Almut, du hast eine spitze Zunge. Zähme sie. Wir wollen uns eingestehen, dass wir eine Warnung erhalten haben. Aber sie ist sehr vage und ungenau, deshalb sollten wir keine wilden Vermutungen anstellen, sondern einfach achtsam sein. Ich möchte euch deswegen noch einmal daran erinnern: Jede von uns hat gelobt, ein gottgefälliges, keusches Leben zu führen, den weltlichen Tand abzulegen, den Bedürftigen zu helfen, den Leidenden beizustehen und für die Toten zu beten. Das sind unsere Hauptaufgaben – weder mystische Verzückung noch spitzfindiges Philosophieren, nicht die kunstvolle Seidweberei oder das Mischen von Duftwässern stehen an erster Stelle. Wenn Zeit dafür bleibt, könnt ihr euren Neigungen gerne nachgehen, aber in Zurückhaltung und mit Maß.«
    Dergestalt zurechtgewiesen, schwiegen die Beginen, und mehr als eine schaute betroffen auf ihre Hände.
    »Meine Lieben, ich habe eine Reihe von Aufträgen für euch, die erledigt werden müssen. Erfreulicherweise sind die meisten auch mit Gaben an uns verbunden.«
    Magda von Stave verteilte die Aufgaben gerecht und nach Fähigkeiten, etwas, das sie erstaunlich gut beherrschte und weswegen sie nun auch schon zum zweiten Mal zur Meisterin des Konvents gewählt worden war. Denn trotz des nicht unbeachtlichen Stiftungsvermögens waren die Beginen dazu angehalten, durch ihre Arbeiten zum Unterhalt des Konventes beizutragen.
    Magda erhob sich von ihrem Platz am Kopf des langen Refektoriumstisches und nickte den versammelten Beginen freundlich zu.
    »Es ist ein schöner, heller Tag, gehen wir unseren Arbeiten nach!«, schloss sie ihre Ausführungen und erhob sich.
    Almut trat gemeinsam mit den anderen vor die Tür des Haupthauses und blinzelte nach der verhältnismäßigen Dunkelheit im Refektorium in den hellen Sonnenschein des Nachmittags. Sie überquerte den Hof und ging zu einem der zwei Häuschen gegenüber der Pforte, das sie gemeinsam mit Clara bewohnte. Dasjenige, in dem Almut ihre Kammer hatte, bestand aus einem ebenerdigen Raum, den meistens ihre Mitbewohnerin beanspruchte. Nicht aus Eigennutz, sondern weil sie diesen großen Wohnraum als Schulzimmer nutzte, in dem sie täglich einer Hand voll Mädchen das Lesen und Schreiben beibrachte und sie auch in die Grundzüge des Rechnens einwies. Jetzt war er leer, und nur ein paar Wachstäfelchen und Griffel kündeten von den eifrigen Schülerinnen, die hier vormittags das Geheimnis der Schrift ergründet hatten. Ein aufgeschlagenes Buch, Pergament, Feder und Tintenstein zeugten davon, dass Clara weiter an ihren Bibelübersetzungen arbeitete. Clara war eine

Weitere Kostenlose Bücher