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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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unseren Geist erhebt und tiefen Einsichten öffnet. Doch wenn man nur einen Satz daraus nimmt und ihn in einen anderen Zusammenhang stellt, dann kann daraus selbstverständlich eine gotteslästerliche Anspielung werden.«
    »Genau das hat der dicke Notker ja getan. Und ich habe nur dagegen gehalten, dass es widersprüchliche Aussagen in der Bibel dazu gibt.«
    »Almut, es ist mir wirklich egal, wie du im Einzelnen argumentiert hast. Es ist uns schon einmal in aller Deutlichkeit untersagt worden, während der Messe mit dem Priester zu disputieren. Ich möchte, dass wir uns alle daran halten, denn auf den Schutz, den uns die Stadt gibt, können wir uns nicht in jedem Fall berufen. Nicht, wenn es um Häresie geht.«
    »Schon gut. Aber der dicke Notker ist wirklich dumm.«
    »Mag sein. Dennoch übe dich in Demut und Mitgefühl.«
    »Ja, Meisterin.«
    Almut setzte eine Miene duldsamer Fügsamkeit auf, die ihr niemand so recht glaubte.
    Weitere Ereignisse wurden angesprochen, unter anderem berichtete Almut auch von ihrem Besuch bei dem Weinhändler und dem Zusammenstoß mit den drei Gecken. Elsa lobte Trines Einsatz als Zahnreißerin und tadelte Almuts Verwechslung der Kräuter. Doch sie bat auch um Erlaubnis, das Resultat als Duftwasser verkaufen zu dürfen. Das wurde ihr gewährt. Schließlich kam auch Rigmundis zu Wort, die die meiste Zeit über ihren Gedanken nachgehangen hatte. Sie machte ein düsteres Gesicht, und als Magda sie aufforderte, ihr Anliegen vorzutragen, setzte sie sich mit dramatischer Miene auf.
    »Ich hatte eine Traumvision!«
    »Ohhh!«, entfuhr es Mettel und den drei Seidenweberinnen Judith, Agnes und Irma, die höchste Bewunderung für Rigmundis’ wundersame Begabung hegten und es nicht müde wurden, sich die mystischen Bilder beschreiben zu lassen, die ihr zuteil wurden. Die anderen Beginen hegten hingegen etwas größere Skepsis, doch ganz unbeeindruckt blieben auch sie nicht von den erschreckenden Visionen, die Rigmundis hin und wieder heimsuchten.
    »Was hat diesmal deine Schau gezeigt, Rigmundis. Berichte!«, forderte Magda sie auf.
    Rigmundis, eine schmale, ätherisch wirkende Frau mittleren Alters, richtete sich auf und begann mit leuchtenden Augen von ihrer nächtlichen Vision zu berichten.
    »Zu Beginn irrte ich lange durch einen finsteren Gang. Eine Höhle, eng und voller scharfer Steine. Ich fühlte mich verloren in den unzähligen Windungen, einsam und von allen guten Geistern verlassen.«
    Die drei Weberinnen klammerten sich wie schutzsuchend aneinander und stöhnten leise.
    »Doch ganz plötzlich erkannte ich ein Licht in der tiefsten Dunkelheit. Ich folgte dem silbernen Schein und fand mich schließlich auf einem breiten, gepflasterten Weg wieder. Duftende Rosen säumten seine Ränder, und ein lichtblauer Himmel wölbte sich über mir. Aus einem Brunnen sprudelte süßer, kühler Wein, und köstliches Gebäck lag in goldenen Körben. Zarte Stimmen sangen, und tanzende Gestalten in bunten Kleidern vergnügten sich unter den schattigen Bäumen. Doch dann trat der Verführer selbst mir entgegen.«
    »Ah!«, seufzten die Weberinnen. »Wie sah er aus, Rigmundis? Erzähle uns.«
    »Nein, Rigmundis, erspare uns die Einzelheiten. Deine Visionen haben doch immer eine Botschaft. Enthülle sie uns.«
    Magda war weniger sensationslüstern als die Weberinnen und schätzte übertriebene Phantasien nicht besonders. Ungern gehorchte Rigmundis, doch sie verkürzte ihre weitschweifige Erzählung auf das Nötigste.
    »…und so floh ich dem Versucher und fand hoch auf dem Hügel, fern von dem sündigen Treiben, eine kleine, stille Kapelle. Als ich sie betrat, sah ich in ihrer Mitte einen schlichten, steinernen Altar. Er war leer – bis auf einen einzigen Gegenstand.« Sie machte eine dramatische Pause. Dann fuhr sie mit bebender Stimme fort: »Ich trat näher und näher und wagte es schließlich, ihn aufzuheben. Es war ein silberner Spiegel, zierlich gearbeitet und so groß wie meine Hand. Doch als ich in ihn hineinschaute, da…«
    Voller Schaudern versagte ihr die Stimme, und atemloses Schweigen erwartete ihre letzte Erkenntnis.
    »Was sahst du, Rigmundis? Nun sag schon!«, forderte Mettel atemlos.
    »Ich sah hinein, und ich sah – nichts. Der Spiegel war schwarz.«
    Zischendes Atemholen ging durch die Gesellschaft, und selbst Almut fühlte, wie sie sich vor Entsetzen verkrampfte. Aber sie hätte nicht sagen können, warum.
    »Was hat das zu bedeuten, ein dunkler Spiegel? Clara, du bist belesen und

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