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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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so nickte sie zustimmend.
    »Würdet Ihr jetzt bitte die Magd Grit rufen, damit sie uns zu dem kranken jungen Herrn begleitet?«
    Rudger drehte sich um und stieß einen unartikulierten Laut aus, eine Art Gurgeln, das tief aus seiner Kehle kam. Offensichtlich aber verstand die Magd, dass sie gemeint war, und erschien umgehend in der Halle. Mit ein paar ausladenden Handbewegungen und weiteren gurgelnden Lauten gab er ihr zu verstehen, was von ihr verlangt wurde.
    »Schon gut, Rudger. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet!«
    Die beiden Beginen stiegen hinter ihr die hölzerne Wendeltreppe in das obere Stockwerk hinauf, wo Jean im Bett seines geräumigen Zimmers lag. Die Luft war stickig, und es roch faulig und nach Krankheit.
    »Herr Jean?«
    Bestürzt sah Almut zu dem jungen Mann hin, der halb auf die Seite gerutscht aus dem Bett hing und mühsam nach Luft rang.
    »Dem Kranken geht es aber sehr schlecht«, bemerkte Thea. »Hilf mir mal, Almut!«
    Energisch packte sie den großen, schweren Mann und bettete ihn in eine aufrechtere Haltung. Er röchelte und gab ein gequältes Husten von sich.
    »Mach die Fenster auf, Mädchen!«, befahl sie der Magd, die sich verstört aus dem Zimmer drücken wollte.
    »Maître…!«, flüsterte Jean und hustete noch einmal.
    »Was meint er?«, fragte Thea.
    »Ich glaube, er meint den Hausherren. Er hat ihn neulich so angeredet«, antwortete Almut und hielt Grit fest, die wieder versuchte, aus dem Krankenzimmer zu fliehen.
    »Hole deinen Herren, Mädchen. Rasch!«
    »Er ist im Lagerhaus.«
    »Ist das weit von hier?«
    »Ein paar Straßen.«
    »Dann lauf, was deine Füße hergeben.«
    »Ja, meine Dame.«
    Erleichtert lief die Magd aus dem Raum und polterte die Treppen hinunter.
    »Ist das die Arznei, die Elsa für ihn gemischt hat?« Thea hielt den kleinen Glaskrug hoch und roch daran. »Sollen wir ihm jetzt etwas davon geben?«
    »Besser nicht. Sie wirkt betäubend, und er ist ja kaum bei Bewusstsein.« Almut zog ihre Begleiterin zur Seite und flüsterte dann so, dass er sie nicht hören konnte: »Es sieht schlimm aus. Können wir ihm irgendwie helfen?«
    »Ich weiß nicht, Almut. Er scheint dem Ende nahe zu sein. Ich kenne die Symptome. Es ist wohl besser, wenn ich die Hausherrin aufsuche und sie bitte, seinen Priester kommen zu lassen. Bleib du bei ihm und achte darauf, dass er aufrecht bleibt. Er bekommt beinahe keine Luft mehr!«
    Auch Thea verließ den Raum, und Almut blieb alleine mit dem jungen Mann, der erschreckend blass aussah. Seine geröteten, verschwollenen Augen tränten, und seine Nase lief, ohne dass er sich darum kümmerte. Almut sah sich im Zimmer um. Auf der Truhe stand ein Wasserkrug. Als sie aufstand, um das Tuch anzufeuchten, das neben der Wasserschüssel lag, stieß ihr Fuß gegen einen kleinen Gegenstand, der auf den Boden gefallen war. Sie bückte sich danach und erkannte an der hübsch emaillierten Rückseite, dass es sich um Dietkes kleinen Handspiegel handelte. Ohne weiter auf ihn zu achten, hob sie ihn auf und legte ihn auf die Truhe. Dann wischte sie dem jungen Mann voller Mitleid das Gesicht ab und versuchte, ihm ein wenig von dem verdünnten Wein aus dem Becher zu trinken zu geben, der an seinem Bett stand. Er schluckte mühsam, und kurz flatterten seine Lider. Er schien die Frau an seinem Lager zu erkennen, und mit einiger Anstrengung krächzte er: »Ma soeur, betet für mich.«
    »Ja, Jean, gewiss werde ich für Euch beten.«
    »L’enfer, die ’ölle… so kalt, so dunkel… Betet für mich.«
    Almut setzte sich auf die Bettkante, nahm seine kalten Hände in die ihren und begann, leise einen Psalm zu sprechen. Ein wenig ruhiger wurde der Kranke dabei, doch bald darauf wurde die Tür aufgerissen, und Hermann de Lipa stand im Zimmer.
    »Mein Gott, was ist mit dem Jungen?«
    »Es steht schlecht um ihn. Seht selbst.«
    »Jean, Jean!« De Lipa stieß Almut beinahe vom Bett und beugte sich über den Jungen. »Hörst du mich, Jean? Jean…!«
    Der junge Burgunder zitterte und versuchte, sich weiter aufzurichten.
    »Lass nur, Jean.«
    De Lipa setzte sich auf die Bettkante und legte dem Jungen den Arm um die Schulter. Mit einem Aufschluchzen legte Jean seinen Kopf an die Brust des Älteren.
    »Maître…« Ein krampfartiger Husten würgte ihn, dann flüsterte er leise: »Verzeiht mir!«
    »Aber was soll ich dir verzeihen, mein Freund? Jean, Jean! Bleib bei mir!«
    Verzweifelt flehte der Weinhändler den jungen Mann an und strich ihm dabei die feuchten Haare aus dem

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