Der dunkle Spiegel
führte, die hatte gehört, wie der Herr die Giftmischerinnen des Hauses verwiesen hatte.
»Und was sind denn diese scheinheiligen Beginen anderes? Mit ihren grauen Gewändern und dem Schleier über dem Kopf verkleiden sie sich als fromme Frauen. Aber insgeheim lästern sie Gott und üben sich in heidnischen Praktiken. Frauen sollen die Heilkunst den Männern überlassen und nicht selbst mit giftigen Pflanzen herumexperimentieren!«
»Und du solltest nicht mit deiner giftigen Zunge über andere Leute herziehen, Lisa!«, polterte der Schuster, der die letzten Worte gehört hatte, die seine Schwester dem Dominikaner zuzischte. »Und Ihr, Herr Inquisitor, belästigt uns jetzt bitte nicht weiter, wir haben Wichtigeres zu tun, als Eure Fragen zu beantworten.«
Bruder Johannes, dem diese Art von Behandlung nichts Neues war, drückte seine Hand unter dem Skapulier auf seinen Magen, um den dumpfen Schmerz in der Gallengegend zu lindern. Es half wenig, mehr half ihm die Befragung des alten Leyendeckers, der auf einem Hocker vor der Tür seines Hauses in der Sonne saß und döste. Er hatte Almut schon als Kind gekannt.
»Kurz vor der großen Pest ist sie geboren. Und nichts hat ihr die Geißel Gottes antun können. Ihre Mutter starb und ihre Brüder, aber das kleine Teufelsbalg überlebte. Ein schreckliches Kind. Keine Achtung, keine Demut. Aufgewachsen wie ein wildes Tier, nicht wie ein anständiges Mädchen. Lag an dem Vater, der ihr alle Freiheit ließ. Hat sie mit auf die Baustellen genommen, wo sie sich mit den gemeinen Tagelöhnern herumtrieb. Raufen und Spiele treiben, das tat sie. Auch an des Herren heiligen Sonntag, und immer Krakeel in der Gasse! Was für Widerworte sie gab, wenn ich sie mal zurechtgewiesen habe, dieses garstige Ding! Das wurde auch nicht besser, als der Baumeister wieder geheiratet hat. Frau Barbara ließ der Göre alles durchgehen. Neugierig wie eine Katze war sie und genauso falsch. Immer argumentieren, immer disputieren, immer fragen: Warum? Warum? Warum? Gotteslästerlich nenn ich das!«
Warum – das war eine der Fragen, die Bruder Johannes nie stellte. Es war für ihn nicht nötig, zu hinterfragen, warum jemand etwas tat. Die Ursache lag ja offen zu Tage – die Mächte des Bösen bewirkten es. Darum gab es keine Verteidigung und keine Verteidiger, sondern nur die Selbstanklage der Beschuldigten, die damit anzeigten, dass sie bereit waren, die Buße auf sich zu nehmen. Oder die ganz Verbohrten, die leugneten und damit nur bewiesen, wie weit der Einfluss Satans reichte. Sie gestanden erst, wenn die Werkzeuge der Henkersknechte eingesetzt wurden.
Dunkles Donnergrollen machte Bruder Johannes’ Befragungen ein Ende. Doch er hatte genug gehört – der domini canus, der Hund des Herren, hielt jetzt einige fette Batzen im Maul.
10. Kapitel
Warum? Warum? Warum?, fragte sich Almut und lehnte sich aus dem Fenster ihrer Kammer. Das Gewitter war fürs Erste davongezogen, doch nachtschwarze Wolken hingen noch tief über dem Land. Nur ferne am Horizont zeigte sich ein schmaler Streifen blassen Blaus, dort, wo die Sonne untergegangen war. Von den Blättern der Bäume tropfte es noch, und aus den Wiesen und Äckern stieg der Geruch feuchter Erde und Gräser auf. Ein kühler Wind trieb einen Tropfenschauer in das Fenster, und Almut musste sich das Gesicht abwischen. Aber sie blieb am Fenster stehen und ließ die vergangenen Stunden passieren.
Das Gewitter war lang und außergewöhnlich heftig gewesen. Sie hatte es gerade so eben noch geschafft, ihr Heim zu erreichen, da brach es mit aller Gewalt los. Als sie mit einem Donnerschlag in den Hof eintrat, flatterte nicht nur das Hühnervolk aufgeregt umher, auch die vier Mägde, die tagsüber ihre Arbeit bei den Beginen verrichteten, rannten kreischend zum Refektorium, um Schutz zu suchen. Auch Anna lief ihnen nach, es war ausgeschlossen, sie jetzt zurückzuschicken. Almut folgte ihnen und fand ihre restlichen Mitbewohnerinnen in dem großen Raum versammelt. Draußen stürzte ein sintflutartiger Regen nieder, krachte ein Donner nach dem nächsten und zuckten die Blitze wütend über die Stadt. Die ängstlichen Gemüter waren eng aneinander gerückt und murmelten halblaute Gebete. Petrus wurde um Schutz gebeten, und selbstverständlich die heiligen drei Könige, aber auch die anderen Heiligen, die bekannt dafür waren, Schutz bei Unwetter zu bieten, wie Markus, Vitus, Kastulus und natürlich der heilige Florian. Zu ihm insbesondere flehte Elsa inbrünstig
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