Der dunkle Spiegel
beantwortet. In den letzten Tagen war er dazu verpflichtet worden, lehrreiche Texte zu kopieren, eine Tätigkeit, die ihm nicht eben leicht von der Hand ging. Außerdem achtete Bruder Ludger, der Camerarius, inzwischen peinlich genau darauf, dass sich wirklich jeder der Mönche streng an die Regel des heiligen Benedikt hielt und täglich nur ein Viertel Wein zu sich nahm. Jeder der Brüder, auch Notker! Vor allem er, denn der Vorfall während des Abendmahls hatte unliebsame Aufmerksamkeit auf seine Trinkgewohnheiten gelenkt. Und da Notker nicht die Fähigkeit hatte oder haben wollte, die eine Schmach von der anderen zu unterscheiden, sah er in der Begine, die seine Predigt so empfindlich gestört hatte, die Wurzel allen Übels. Die Wurzel allen Übels musste aber mit den bösen Kräften in Verbindung stehen, und das teilte er dem verständnisvoll lauschenden Bruder Johannes in einem weitschweifigen Bericht mit. Er konnte ihm vor allem auch verraten, aus welchem Konvent die aufrührerische Begine stammte.
Mit seinen nächsten Gesprächspartnern hatte der Inquisitor allerdings weniger Erfolg. Seiner Erfahrung nach waren Nachbarn immer gerne bereit, ein paar sachdienliche Hinweise über unbotmäßiges Verhalten ihrer Mitmenschen zu geben. Aber diejenigen, die in der Nähe des Beginen-Konventes lebten, wussten von keinen ausschweifenden Orgien, nichts von häretischen Umtrieben oder ketzerischem Verhalten zu sagen, sondern äußerten sich überwiegend freundlich über die grauen Schwestern, die sie als hilfsbereit und fleißig beschrieben. Dennoch konnte er eine kleine Information aufschnappen, die es galt, weiterzuverfolgen. Es gab da eine Kräuterfrau, die sich mit den Kräften der Pflanzen auskannte. Und dass solche Frauen auch über geheime Tränke und Salben Bescheid wussten, das lag ja wohl offen zu Tage. Außerdem hatte Bruder Johannes erfahren, wo die Begine Almut zuvor gelebt hatte, und in dieser Nachbarschaft fand sich denn auch eine alte Vettel, die ihm mit scharfer Zunge einiges über die Ehefrau des Baumeisters Bossard erzählte.
»Ich finde, es ist ein Wunder, dass der Bossard sie genommen hat. So ein stattlicher, wohlbeleibter Mann. Sie war ein zerzaustes, mageres Hühnchen, aber kaum dass sie die Haube trug und sich in rauschende Seidenkleider hüllte, hat sie die Nase hoch bis zum Himmel gereckt und sich einen arroganten Blick angewöhnt, als ob sie was Besseres wäre. Es heißt, dass sie ihrem Mann ein paarmal weggelaufen ist, nachts, wahrscheinlich, um sich mit anderen Männern zu treffen. Aber er hat sie immer wieder zurückgenommen, der langmütige Herr. Aber komisch ist es doch – dreimal war sie schwanger, und nie hat sie ein lebendes Kind geboren. Das war die Strafe für ihr gottloses Benehmen. Vor fünf oder sechs Jahren wurde der Bossard dann krank, und sie hat ihn zu Tode gepflegt. Danach hatte sie nichts anderes zu tun, als sich so schnell wie möglich in diesem Konvent zu verstecken. Mag man deuten, wie man will, nicht wahr?«
Bruder Johannes deutete es, wie er wollte. Dafür hatte es sich sogar gelohnt, dass einige Schlammspritzer den Saum seiner makellos weißen Kutte befleckten. Man würde sie später herausbürsten können.
Er fand auch eine tumbe Magd aus dem Haushalt des verstorbenen Baumeisters Bossard, die ihm bestätigte, dass die Frau Almut immer ganz komisch ausgesehen habe, wenn sie aus der Kammer des Herren kam. Und dass sie eine entsetzlich spitze Zunge hatte, wenn man mal nicht so hurtig sprang, wie sie es wünschte. Außerdem hatte sie schon damals immer mit diesen grauen Frauen zusammengehockt und sich von denen sogar Bücher geben lassen. Wo das Lesen doch so schlimm für den Kopf ist. Für Frauen wenigstens. Und nach dem Tod – er war ganz schrecklich für den Herren, er wurde blind, die Zehen fielen ihm ab, und seine Haut war voller eitriger Geschwüre –, da hat sie ihre Sachen gepackt und hat niemandem mehr einen Blick gegönnt. Weder dem Gesinde noch ihren drei unverheirateten Stieftöchtern, und auch dem Sohn nicht. Obwohl der ihr sogar ein Erbe ausgezahlt hat, wie sie, die Magd gehört hatte. Einen ganzen Beutel Gold sollte sie mitgenommen haben.
Die Suche nach den drei Töchtern des Baumeisters Bossard verlief ergebnislos, doch Gerüchte sprachen von einem Ursulinerinnen-Stift in Mainz.
Eine andere alte Jungfer aber, die im Haus neben dem Weinhändler de Lipa ihr Leben bei ihrem Bruder, einem Schuhmacher, fristete und ihm recht und schlecht den Haushalt
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