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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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und auf den Knien. Gewitter verwandelten sie regelmäßig in ein reines Nervenbündel. Aber auch Thea und Clara beteten leise, und sogar Magda, die selten durch etwas zu erschüttern war, ließ die Perlen ihres Rosenkranzes beunruhigt durch die Finger gleiten. Nur eine hatte ihr helles Vergnügen an dem Gewitter. Trine stand am offenen Fenster und starrte mit großen begeisterten Augen in das wilde Schauspiel aus Sturm, Wassermassen und grellen Blitzen. Das Donnern, das Heulen des Windes und das Prasseln des Regens drangen nicht in ihre Welt. Almut war die Einzige, die sie bemerkte, und stellte sich neben sie. Trine spürte es und sah sie mit aufgeregt funkelnden Augen an.
    »Es macht dir keine Angst, weil du den Krach nicht hörst. Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an dir nehmen, Trine. Wir sind hier in Sicherheit, das Haus ist fest aus Stein gebaut und das Dach solide mit Blei befestigt. Es kann weder wegfliegen noch in Brand geraten.«
    Trine hörte zwar Almuts Worte nicht, aber auch nicht den Ohren betäubenden Donnerschlag und nicht den mehrstimmigen Entsetzensschrei einiger Frauen. Doch sie fühlte die Freundlichkeit der Frau neben sich und lächelte sie an.
    Über die allgemeine Aufregung war Almut natürlich auch von den Dingen abgelenkt worden, die sie im Laufe des Tages erfahren hatte, und erst jetzt, als sich alle zum Schlafen in ihre Kammern zurückgezogen hatten, fand sie Muße, darüber nachzudenken. Eigentlich hatte sie ihr abendliches Gebet vor der kleinen Mariengestalt dazu nutzen wollen, wie sie es oft tat, wenn sie ihre Gedanken ordnen wollte, doch fiel es ihr an diesem Abend schwer, sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften ab, bildeten Knäuel und Knoten, die sich nicht lösen ließen, zerfaserten sich oder rissen einfach ab. Nur eine Frage kreiste unablässig in ihr weiter: Wenn es wirklich der junge Jean war, der sich Montagnacht in dem Weinlager seines Meisters herumgetrieben hatte – was in aller Welt hatte ihn nur dazu getrieben, dort irgendetwas mit dem Wein anzustellen? Warum wollte er seinem verehrten Lehrherren Schaden zufügen? Und warum starb er tags darauf, obwohl es ihm in jener Nacht zumindest so gut ging, dass er, wenn auch schnaufend und hustend, schwere Gegenstände, wahrscheinlich Fässer, bewegen konnte.
    Almut fand keine befriedigende Antwort auf ihre Fragen, schob sie schließlich unbefriedigt beiseite und schlüpfte unter die Decke. Von ferne hörte sie wieder leises Donnergrollen. Das Gewitter war an die Erhebungen der Sieben Berge gestoßen und würde jetzt zurückbranden. Und das nicht zum letzten Mal in dieser Nacht. Lächelnd dachte Almut an die taube Trine – sie würde als Einzige heute eine ruhige Nacht haben. Oder? Noch einmal schlüpfte Almut aus dem Bett, kramte in einem Korb mit Flickzeug und Stoffresten, fand ein wenig Wolle und stopfte sie sich in die Ohren.
    So war sie denn am nächsten Morgen auch ausgeruht und gerne bereit, Magdas Bitte zu folgen und auf dem Markt einige Einkäufe zu tätigen. Clara wollte sich ihr anschließen. Auch sie hatte Besorgungen zu machen und wurde von der Meisterin noch einmal daran erinnert, dass für eine vor drei Jahren verstorbene Handwerkermeisterin eine Kerze in St. Brigiden angezündet werden sollte und die notwendigen Gebete gesprochen werden mussten.
    Jeweils mit einem Korb am Arm machten sich beide Frauen auf den Weg. Nicht so schnell, wie Almut gewöhnlich ausschritt, denn Clara drückten die Trippen an den Füßen. Diese hohen hölzernen Sandalen sollten vermeiden, dass Schuhe und Säume zu stark verschmutzten. Sie waren an diesem Morgen notwendig, denn der Regen hatte den Weg in eine einzige Matschpfütze verwandelt. Es war kalt geworden, und noch immer hingen graue Wolken tief über dem Rhein.
    »Ich werde mir eine Erkältung holen. Und Halsschmerzen!«, jammerte Clara.
    »Und Blasen an den Füßen oder sogar Frostbeulen«, zog sie Almut auf.
    »Spotte du nur. Nicht jeder ist mit einer so robusten Gesundheit gesegnet wie du. Ich bin viel empfindlicher!«
    »Wenn du nicht immer nur in deiner Kammer sitzen und nur die Feder schwingen würdest, wärst du auch nicht so schwächlich.«
    »Schwächlich?«
    »Na, wenn du von ein bisschen Nieselregen schon Halsschmerzen bekommst…«
    »Schon gut, werde ich wohl nicht, wenn ich nachher ein heißes Fußbad nehme. Aber nun geh doch mal ein bisschen langsamer. Wir müssen doch nicht auf den Markt rennen!«
    Trotz aller Klagen war Clara recht ausdauernd, vor allem,

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