Der dunkle Spiegel
Schriftgelehrte, sondern kümmert Euch auch um Küche und Vorratskeller. Eine viel beschäftigte und mit vielen Gaben gesegnete Frau seid Ihr.«
»Und nicht nur das, Pater Ivo. Ich fertige auch wunderschöne Stickarbeiten an.«
»Ihr beeindruckt mich, Begine. Und warum wollt Ihr wirklich wissen, von wem der Wein stammt?«
Almut sah ein, dass sie die Antwort wohl nur bekäme, wenn sie einen Zipfel ihres Geheimnisses lüpfte.
»Weil es Gerüchte gibt, dass de Lipa gepantschten Wein verkauft hat.«
»Ihr habt das Ohr nah am Mundwerk des Volkes. Ja, das Fass stammt von de Lipa, und unglückseligerweise war ich derjenige, der ihn empfohlen hat.«
»Ist er ein enger Freund von Euch?«
»Ihr wollt es aber genau wissen, Begine.«
»Entschuldigung, Entschuldigung.«
Sie waren am Westeingang der Kirche angelangt und wandten sich wieder um, um den Säulengang zurückzugehen.
»Ist diese Art von Neugier ein lästiger Charakterzug von Euch, oder verbirgt sich hinter den Fragen eine bestimmte Absicht?«
»Ich bin einfach lästig!«, fauchte Almut, die ihre guten Vorsätze fahren ließ.
»Ah, und eingeschnappt. Kommt, erzählt mir, warum Ihr solch ein Interesse an de Lipa habt. Ich werde Euch im Gegenzug berichten, warum ich das wissen muss. Einverstanden, Begine?«
»Ihr werdet mir nur die Worte im Mund herumdrehen und eine Anklage daraus machen.«
Pater Ivo hielt in seinem Schritt inne und sah Almut scharf an, dann nickte er.
»Ich vergaß etwas. Fürchtet Ihr, ich könnte de Lipas Vorwurf der Giftmischerei ernst genommen haben?«
Betreten, weil sie sich durchschaut fühlte, biss sich Almut auf die Unterlippe und nickte.
»Kind, Ihr unterschätzt mich. Ich kann sehr wohl beurteilen, ob ein Mensch im ersten Schmerz eine unsinnige Behauptung aufstellt oder eine ernsthafte Anklage erhebt. Glaubt mir, ich halte Euch für unschuldig an Jeans Tod. Könnt Ihr mir unter diesen Bedingungen etwas mehr anvertrauen?«
Almut war ein wenig verwirrt. Das bedrohliche Bild, das sie sich von Pater Ivo gemacht hatte, war soeben zusammengebrochen. Wenn er aufrichtig meinte, was er gesagt hatte, dann konnte er ihr vielleicht sogar helfen, die eigenen nagenden Fragen zu klären.
»Na gut. Ich will es versuchen, Pater Ivo. Ich war gestern zu Besuch bei meiner Stiefmutter und erfuhr…«
Sie berichtete von den Gerüchten, sie erzählte von Jeans unerklärlichen Wunden, und sie schilderte Peters nächtliches Abenteuer im Weinlager.
»Wollt Ihr damit sagen, dass der kranke Junge sich nachts dort herumgetrieben hat und den Wein gepantscht hat? Das glaubt Ihr doch selber nicht.«
»Ihr wolltet wissen, was mich zu meinen Fragen bewogen hat.«
»Begine, der Junge stammt aus einer alten, angesehenen burgundischen Familie. Sie besitzen ein großes Weingut, und ihr jüngerer Sohn sollte das Handelsgeschäft lernen. Ich selbst habe ihm die Stelle bei de Lipa vermittelt. Er war mein Beichtkind und, soweit ich seinen Charakter kannte, ein aufrichtiger, verantwortungsvoller junger Mann. Natürlich hatte er seine kleinen Schwächen und Eitelkeiten, aber de Lipa hätte er nie geschadet. Die beiden verstanden sich gut, und Jean hatte nie Anlass, sich über die Behandlung zu beklagen. Er war gerne hier.«
»Aber ich habe das Amulett gefunden, das er um den Hals trug. Ein Andreaskreuz mit Inschrift.«
»Das gibt es dutzendweise.«
»Dieses hier?« Sie reichte ihm das Holzplättchen, das sie in ihrer Tasche verwahrt hatte, und ergänzte: »Er hat auch etwas gesagt, erzählte mein kleiner Bruder. Ich denke, es war in seiner eigenen Sprache. Was bedeutet ›jesükrist‹ oder ›fidüdjövivant‹? Wisst Ihr das? Ihr kennt doch sicher die fränkische Zunge?«
Wieder blieb Pater Ivo stehen und sah mit gerunzelter Stirn zu einem der Fenster empor.
»Jesus Christ, Fils du Dieu vivant, Jesus Christus, Sohn des lebenden Gottes. Es ist in der Tat Fränkisch, Begine, und ich fürchte, ich muss Euch glauben. Aber es fällt mir schwer.«
»Er wird einen Grund gehabt haben, weshalb er tat, was er getan hat.«
»Den hatte er gewiss. Begine, ich danke Euch für Eure Offenheit und Euer Vertrauen.«
Sie gingen einige Schritte schweigend weiter, dann nahm Almut noch einmal allen Mut zusammen und flüsterte so leise, dass es kaum zu hören war: »Pater Ivo, ich fürchte, dass Jean keines natürlichen Todes gestorben ist.«
»Ja, Kind, das fürchte ich auch. Und ich habe die schreckliche Aufgabe, das seinen Eltern mitzuteilen. Aber wenn Ihr in Euren
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