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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Botschaften?«
    »Nein, aber die Beschreibung der Vision unserer verzückten Seherin trieb den Weberinnen die Röte in die Wangen. Rigmundis hat für eine keusche Jungfrau sehr bildhafte Vorstellungen vom ehelichen Leben.«
    Clara, wie Almut Witwe, lachte leise in sich hinein.
    Doch das unheilige Vergnügen, dem sich die beiden Beginen hingaben, endete jäh, als sie das Tor zum Hof durchschritten. Hier bot sich ihnen das Bild eines ausgewachsenen Tumultes. Die Ziege meckerte hysterisch, die Sau rannte quiekend zwischen Brunnen und Tor umher, und die Mägde stolperten lärmend zwischen dem Kräutergarten, dem Küchenanbau, der Apotheke und dem Haupthaus hin und her, während die Hühner aufgeregt gackernd umherstoben. Die Köchin Gertrud stand neben dem Backofen vor der Küche und protestierte lauthals: »In meinem Herd werden die Kräuter nicht verbrannt!«
    Trine schleppte schniefend und mit verheultem Gesicht einen Korb ausgerissener Rosmarinpflanzen zum Refektorium, Elsa kam mit einem Bündel getrockneter Kräuter aus der Apotheke, und Mettel versuchte schreiend, Geflügel, Schwein und Ziegen zusammenzutreiben.
    »Diese Aufregung tut meinen Nerven gar nicht gut«, wisperte Clara und zog sich lautlos zurück. Almut hingegen beschleunigte ihre Schritte und strebte ebenfalls auf das Refektorium zu. Hier mühten sich Rigmundis und die Weberinnen, noch mehr ausgerissene Pflanzen und Kräuter in den Kamin zu stopfen.
    »Was ist denn hier los?«, fragte Almut in den Raum.
    »Das Zeug muss weg! Weg! Das darf hier niemand finden!«, keuchte Elsa und schob Rigmundis unsanft zur Seite.
    »Ja, aber warum denn?«
    »Sie müssen verbrannt werden. Schnell, schnell, ehe er wiederkommt!«
    Mit bebenden Händen riss Elsa der weinenden Trine den Korb aus der Hand.
    »Warum musst du denn deine Kräuter verbrennen, Elsa? Das ist doch die Arbeit von Jahren!«
    »Besser sie brennen als ich! Lasst mich machen. Sie müssen weg! Weg! Weg!«
    »Die Rache des Herren wird über uns kommen!«, heulte Judith auf, und ihre beiden Schwestern und zwei der Mägde stimmten mit ein. Es war ein Nerven zerreißendes Geschrei, und Almut starrte fassungslos die völlig überdrehten Frauen an.
    »Schluss mit dem Getue!«, rief sie, doch keiner hörte auf sie. Also stellte sie den Korb auf den Tisch, stützte die Hände in die Hüften, holte tief Luft und brüllte mit der Stimme los, die sie sich als Kind auf ihres Vaters Baustellen erworben hatte: »Ruhe! Aufhören!«
    Verdutzte Gesichter wandten sich zu ihr um, und ganz plötzlich trat Stille ein.
    »Wo ist Magda?«, fragte sie in normaler Lautstärke.
    »Oben mit Thea«, antwortete ihr jemand.
    »Hol sie her!«, befahl Almut einer der Mägde. Dann fragte sie Rigmundis: »Was soll das Ganze?«
    »Wir hatten Besuch von einem Dominikaner. Du kannst von Glück sagen, dass du nicht hier warst!«
    »Und die Kräuter müssen brennen!«, erhob jetzt wieder Elsa ihre Stimme, doch Magda kam eben zur Tür herein und starrte ebenso erstaunt auf den überquellenden Kamin wie zuvor Almut. Allerdings fand sie ihre Fassung schnell wieder und ging auf die zitternde Apothekerin zu.
    »Reg dich nicht auf, Elsa. Der Inquisitor kam nicht deinetwegen. Beruhige dich. Niemand wird dir wegen deiner Kräuter und Arzneien etwas tun.«
    »Er wird mich beschuldigen. Er wird mich Hexe nennen. Ich werde in den Kerker kommen. Ich weiß das! Ich weiß es!«, jammerte Elsa, und ihr mächtiger Busen bebte. »Er weiß, dass ich die geheimen Kräfte der Pflanzen kenne. Ich bin vernichtet!«
    »Wenn er jeden, der sich mit diesen Kräften auskennt, in den Kerker bringen wollte, dann gäbe es in Köln keinen Kräuterhändler, keinen Gewürzkrämer, keinen Apotheker und keinen Bader mehr. Komm, wir gehen in deine Räume, Elsa!«
    Sanft, aber bestimmt führte die Meisterin die aufgelöste Frau aus dem Refektorium. Zu Almut gewandt sagte sie leise: »Schafft Ordnung hier!«
    Almut sandte einen Stoßseufzer zum Himmel und gab den Mägden Anweisung, die getrockneten Kräuter in den Vorratskeller zu bringen. Trine, die die ganze Zeit aufmerksam alle Bewegungen verfolgt hatte und deren Tränen inzwischen versiegt waren, nahm sie an die Hand und führte sie zu dem Haufen ausgerissener Pflanzen. Rosmarin, Kamille, Minze, Kerbel und viele andere lagen in einem duftenden Durcheinander auf dem Boden, die meisten mit dicken Erdklumpen an den Wurzeln. Mit ein paar einfachen Handbewegungen machte Almut dem Mädchen klar, dass sie die Kräuter wieder

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