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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Mund und Augen auf.
    »Hier, Kind, nimm du den Schleier dafür!«, sagte sie und reichte dem Mädchen das blaugoldene Gewebe. Trine wagte kaum, es in die Hand zu nehmen, und ihr Gesicht drückte allerhöchste Ehrfurcht aus. Almut hingegen war entsetzt.
    »Aziza, so könnt Ihr doch nicht durch die Stadt gehen. Jedermann sieht Eure Haare! So laufen doch nur…«
    Almut schlug sich die Hand vor den Mund.
    »Ah,
jetzt
seid Ihr schockiert! Das ist aber nicht notwendig, Schwester. Erstens ist es mein Haupt, das unbedeckt ist, und zweitens kann ich es mir erlauben. Man weiß um die losen Sitten der maurischen Hure!«
    Lachend schwang sie sich von ihrem Sitz hinunter und lief, ohne sich noch einmal umzusehen, zur Pforte, die auf die Straße führte. Kopfschüttelnd folgte ihr Almut. Trine musste sie dabei förmlich hinter sich herziehen.
    Auf dem Rückweg versuchte Almut, ihre neuen Erkenntnisse richtig zu ordnen. Aber immer wieder tauchte das Bild der barhäuptigen Aziza vor ihrem Auge auf. Seit sie selbst mit fünfzehn geheiratet hatte, trug sie ihre Haare stets aufgesteckt und bedeckt. Auf die Idee, sie offen fallen zu lassen, wäre sie im Traum nicht gekommen. Ja sie empfand es geradezu als anstößig. Außer sehr jungen Mädchen und den Prostituierten zeigte sich niemand in der Öffentlichkeit mit gelöstem Haar. Selbst die ärmsten Bauersfrauen und sogar die Bettlerinnen banden sich irgendein Tuch über den Kopf. Dennoch, der Anblick der blumenbekränzten Aziza mit dem wehenden, glänzenden Haar hatte etwas barbarisch Schönes gehabt, sie war ihr wie eine hoheitsvolle Vision erschienen. Und er vermittelte ihr außerdem einen Eindruck von Freiheit und Lebenslust, den sie selbst so noch nie erlebt hatte.
    »Verrückte Maurin!«, murmelte Almut und zwang sich endlich dazu, über Jeans Umtriebe nachzudenken. Aber die Bilder wollten nicht zusammenpassen, der sanfte, zurückhaltende Junge, den Pater Ivo ihr geschildert hatte, zusammen mit ein paar rauen Gesellen in einer vermutlich anrüchigen Schenke? Dass einige Mönche einen schwunghaften Weinhandel betrieben, war allseits bekannt. Dass sie selbst in den Räumen der Klöster Schankstuben eingerichtet hatten, in denen es höchst unklösterlich zuging, war häufig genug Bestandteil mahnender Predigten. Doch obwohl selbst der Erzbischof in regelmäßigen Abständen diese Machenschaften anprangerte, hatten die Vorhaltungen wenig Erfolg.
    De Lipa lieferte seinen Wein auch an die Klöster. Groß St. Martin hatte auf ganz legalem Wege bisher bei ihm schwere Rotweine bezogen und dabei auch ein Fass des gepantschten Weines erhalten. Dafür war teurer, edler Wein in einer dubiosen Klosterschenke aufgetaucht. Und das schon vor Wochen. Der Austausch der Fässer war also keine einmalige Angelegenheit von einer Nacht gewesen, sondern schon mehrfach vollzogen worden. Daher auch die Gerüchte aus verschiedenen Quellen, denn auch andere hatten die ausgetauschte Ware erhalten. Jemand hatte einen Nutzen davon, und Almut war klug genug, nicht den Bruder Cellerar als Drahtzieher dahinter zu vermuten. Es schien sich um einen größer angelegten Betrug zu handeln; der geschäftstüchtige Mönch mochte Nutznießer der Situation sein, in gewissem Umfang auch Mitwisser, mehr jedoch nicht.
    Als sie so weit gekommen war, hatte sie mit der noch immer verzückt lächelnden Trine ihr Heim erreicht. Es war ruhig im Hof, und sie schickte das Mädchen zu Elsa zurück. Sie selbst stieg zu ihrer Kammer hinauf und ließ sich erschöpft auf den Stuhl fallen. Obwohl es erst später Nachmittag war, hatte sie schon einen anstrengenden Tag hinter sich. Einige untätige Minuten lang starrte Almut mit in den Händen aufgestütztem Kinn einfach nur aus dem Fenster und schob alle Gedanken zur Seite. Schließlich aber gähnte sie einmal gründlich und zog den Korb mit ihren Handarbeiten herbei. Sie hatte eine zierliche Hohlsaumstickerei in Arbeit. Konzentriert zog sie jetzt einige Fäden aus dem Leinentuch heraus, um ein neues Muster zu beginnen. Ihre Nadel schlüpfte geschwind durch das Gewebe und knüpfte Knoten und Schlingen um die losen Enden. Ohne es darauf angelegt zu haben, begannen auch ihre Gedanken neue Muster zu bilden und lose Fädchen zu verknüpfen. Und als die Glocke zur Vesper läutete, hatte sie nicht nur ein gutes Stück Handarbeit geleistet, sondern auch einen Entschluss gefasst.
    Sie suchte die Apothekerin auf und fand Trine zwischen den getrockneten Kräutern im Herbarium hocken, doch diesmal mit

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