Der dunkle Spiegel
angesehenen Tuchhändlers versprochen, und als sie sechzehn war, sollte sie mit ihm verheiratet werden. Er war sieben Jahre älter als sie, ein hübscher, angenehmer Junge, und Dietke schien ganz zufrieden mit der Vorstellung zu sein, ihn zum Mann zu bekommen. Ein Jahr vor der Hochzeit brach er allerdings zu einer weiten Reise auf, um die Waren seines Vaters in den Ländern zu verkaufen, wo dafür noch mehr bezahlt wurde als hier. Er wollte sein eigenes Vermögen erwerben und hatte vor, über Italien bis zum Osmanischen Reich zu ziehen, um dort kostbare Seidenstoffe einzuhandeln. Dietkes Bruder war begeistert von der Idee, ferne Gegenden zu bereisen, und schloss sich mit seinen eigenen Waren der Gesellschaft an. Sie wollten nach einem Jahr zurück sein, und Dietke sollte dann mit ihrem Bräutigam zusammengegeben werden. Die Monate verstrichen, das Jahr war herum, und die Reisenden waren noch nicht zurückgekehrt. Keine Nachrichten, keine Botschaften hatten die Familien erhalten. Niemand wusste, wo sie sich aufhielten, ihre Spur verlor sich in Neapel, wo sie mit gutem Gewinn ihre Waren verkauft hatten.«
»Wie schrecklich. Hat man denn nie wieder etwas von ihnen gehört? Es muss Dietke sehr getroffen haben, Bräutigam und Bruder zu verlieren.«
»Ja, es traf sie tief, und als nach einem weiteren Jahr des Schweigens ihre Eltern vorschlugen, den Tuchhändlersohn zu vergessen und einen anderen als Ehemann in Betracht zu ziehen, weigerte sie sich zunächst, auch nur einen der neuen Bewerber anzusehen. Obwohl es zahlreiche Bewunderer gab. So wurde sie achtzehn Jahre alt, ein schönes, etwas melancholisches Mädchen, sehr fügsam und höflich, nur in einer Sache unbeugsam. Sie wollte nicht heiraten, solange nicht Klarheit über den Verbleib der Reisenden herrschte.«
»Sie hat dann aber doch geheiratet. Wie kam das?«
»Zwei Dinge geschahen in kurzen Abständen. Dietke traf bei einem Fest ihrer Eltern den Weinhändler de Lipa. Er war freundlich zu ihr, ohne Zweifel. Sie aber war Bewunderung gewöhnt und nicht kühle Höflichkeit. Vielleicht stachelte sie das an, ihn zu erobern. Auf jeden Fall verliebte sie sich in ihn und entwickelte eine ganze Reihe weiblicher Listen, um ihn an sich zu binden. Ich fand sie damals ziemlich schamlos. Jedenfalls fiel in diese Zeit ein weiteres entscheidendes Ereignis. Es kam eine Botschaft aus der Kommende der Deutschritter in Koblenz. Zwei kranke, verwundete Händler hatten Obdach gesucht und wurden dort von den Brüdern im Hospiz gepflegt. Die Nachricht war kurz und sagte nur wenig über den Zustand der beiden aus. Aber es handelte sich unzweifelhaft um den Sohn des Tuchhändlers und Dietkes Bruder.«
»Ei wei, welch eine schwierige Situation für Dietke.«
»Zunächst sah es so aus. Der Tuchhändler selbst machte sich auf den Weg nach Koblenz, um seinen Sohn und dessen Gefährten nach Hause zu bringen. Es war schon Herbst, als er aufbrach, und der Winter war vorüber, als er zurückkehrte. Er kam nicht allein, aber seinen Sohn brachte er nicht mit. Der hatte den Winter nicht überlebt.«
»Was ist mit den Männern geschehen? Habt Ihr das je erfahren?«
»Ja, der Tuchhändler erzählte es uns. Die beiden hatten einen guten Beginn ihrer Reise gehabt und waren von Neapel aus wie geplant zu Schiff aufgebrochen, um über Sizilien nach Alexandria zu gelangen. Auf dem Mittelländischen Meer lauern viele Gefahren, aus diesem Grund fahren die Schiffe immer in Gruppen, um sich gegen die Korsaren besser zur Wehr setzen zu können. Doch ein Sturm brachte das ihre vom Kurs ab, und so wurden sie Beute dieser Verbrecher. Sie nahmen ihnen das Vermögen und die Waren, ließen die Männer jedoch am Leben, um sie als Sklaven zu verkaufen. So landeten Dietkes Bruder und der Tuchhändlersohn in Tripolis, wo sie einem barbarischen Herren dienen mussten. Nach zwei Jahren gelang ihnen die Flucht, das Glück schien mit ihnen zu sein, und sie schafften es mit der Hilfe einiger gütiger Menschen, bis nach Koblenz zu gelangen. Doch es gab Probleme. Des Tuchhändlers Sohn hatte sich ein Fieber geholt, das ihn langsam auszehrte. Der kalte Winter nahm ihm die letzte Lebenskraft, und er starb in den Armen seines Vaters.«
»Wenigstens diese Gnade wurde ihm zuteil. Aber Dietkes Bruder? Kam er unversehrt zurück?«
»Nein. Und ich weiß nicht, mit wem das Schicksal gnädiger war. Dietkes Bruder war zunächst bei dem Überfall verletzt worden und nur dank der Fürsprache des Tuchhändlersohnes nicht getötet
Weitere Kostenlose Bücher