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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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worden. Er wurde mit ihm zusammen verkauft. Er genas langsam, obwohl sein Bein nicht mehr richtig heilte. Dann aber machte er sich bei seinem Herren unbeliebt. Er beleidigte seine Ohren und machte unverschämte Bemerkungen. Zur Strafe hat dieser Barbar ihm die Zunge herausgerissen und die Ohren abgeschnitten.«
    »O mein Gott!«
    Almut schluckte trocken und dachte an ihre eigene unbotmäßige Zunge. Dann fiel ihr plötzlich auf, was sie da gerade gehört hatte.
    »Dietkes Bruder, das ist Rudger, der Haushofmeister bei de Lipa?«
    »Ja. Sie nahm ihn auf, den verstörten, gebrochenen Mann, der entstellt und verstümmelt nach Hause kam und sich nur noch in seiner Kammer verkriechen wollte. Sie war die Einzige, die Zugang zu ihm hatte, und wahrscheinlich muss ich es ihr hoch anrechnen, denn sie vergilt ihm die Liebe, die er ihr als kleines Mädchen geschenkt hat.«
    »Das tut sie wohl. Und nachdem sie erfahren hat, dass ihr Verlobter nun wirklich gestorben war, hat sie ihre Schlingen wieder nach de Lipa ausgelegt?«
    »Es war nicht viel an Schlingen auszulegen, de Lipa hatte sich um eine Tochter der Hardefustens bemüht und war von dem Patrizier abgewiesen worden. Er hielt um Dietke an.«
    »Und sie nahm Rudger mit sich. Er muss unter ihrer Pflege zumindest ein wenig Selbstvertrauen wiedererlangt haben, denn mir scheint, er führt das Haus mit großer Anstelligkeit.«
    »Das tut er, und er hat auch Möglichkeiten gefunden, sich zu verständigen. Doch er ist menschenscheu geblieben und zieht die Gesellschaft seines Hundes der der Menschen vor.«
    »Einem Hund, der vor kurzem gestorben ist. Armer Mann.«
    Almut erinnerte sich an Trines Geschichte von dem Ratten jagenden Hund, und sie ergab mit einem Mal einen Sinn. Sie erzählte sie den beiden Frauen.
    »Das tut mir Leid für ihn. Aber es mag ein neues Tier geben, das sich ihm anschließt. Oder er muss es doch wieder mit den Menschen versuchen.«
    »Wie ist er eigentlich mit dem jungen Mann aus Burgund zurechtgekommen, Frau Helgart? Wisst Ihr etwas darüber?«
    »Ich weiß es nicht. Er wird ihn genauso behandelt haben wie die anderen Bewohner des Hauses. Nur zu seiner Schwester Dietke hat er ein enges Verhältnis.«
    »Frau Dietke, so sagt man, mochte den jungen Mann nicht.«
    »Ja, das fiel mir auch auf, und es wunderte mich, denn der arme Verstorbene war ein sanfter, höflicher Junge. Immerhin, de Lipa verbrachte viel Zeit mit ihm, nahm ihn häufiger auf Reisen oder zu Besuchen bei einflussreichen Kunden mit. Vielleicht war sie eifersüchtig auf ihn. Vielleicht hätte sie ihren Mann lieber selbst begleitet. Wenn das der Grund für ihre Verstimmung war, dann hat sie nun ja nichts mehr zu befürchten. Sie wird sich am Sonntag aller Welt als die elegante Gattin des erfolgreichen Weinhändlers zeigen können.«
    »Ein großes Ereignis, die Verlobung Eurer Tochter. Ich wünsche ihr, dass sie mehr Glück hat als Frau Dietke.«
    »Es sieht im Augenblick zumindest danach aus. Der junge Werner ist ein gewinnender Mann, und Waltruth ist eher erwartungsvoll als verliebt. Aber wenn auch noch die Liebe auf sich warten lässt, so mag sie mit den Jahren wachsen.«
    Das Gespräch drehte sich jetzt wieder um die Vorbereitungen der Feier, und Almut stand auf, um aus dem Fenster in den Hof zu sehen. Sie hatte genug erfahren, um dem Bild Farbe zu geben, das sie sich von den de Lipas machen wollte. Die Fragen, die es beantwortete, und die Fragen, die es neu aufwerfen würde, wollte sie später verfolgen.
    Unten im Sonnenschein saßen Trine und Mechtild beisammen und spielten schweigend und einträchtig ein Fadenspiel, bei dem sie sich gegenseitig höchst komplizierte Muster zwischen die ausgestreckten Daumen und Zeigefinger der beiden Hände woben. Peter ließ den schwarzen Kater nach einem Stoffbällchen an einem Band haschen und schrie gerade empört auf, als eine Kralle im Eifer des Spiels seine Wade ritzte. Die Glocken von St. Maria im Capitol läuteten zur Vesper, und Almut drehte sich zu ihrer Stiefmutter um.
    »Ich muss heimkehren, Frau Barbara.«
    »Ja, ich habe auch den ganzen Nachmittag verschwätzt«, sagte Frau Helgart im Aufstehen.
    Sie verabschiedeten sich, und als Almut Trine vom Hof holte, traf sie ihren Vater an der Tür. Der Baumeister Conrad wusste noch immer nicht so recht, wie er seiner Tochter begegnen sollte, die ihn in der letzten Zeit mehrmals heftig in Verlegenheit gebracht hatte. Er brummelte nur einen kurzen Gruß, um sich so schnell wie möglich zurückzuziehen,

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