Der dunkle Spiegel
jetzt sagte sie leise zu Magda: »Ich werde mich mal um Frau Dietke kümmern. Sie muss dem Zusammenbruch nahe sein.«
»Tu das, Almut. Ich helfe hier noch etwas, die Ordnung wiederherzustellen.«
Almut verließ den Raum, in dem das Festmahl stattgefunden hatte, und strich durch das spärlich erleuchtete Haus. Aus einem Zimmer drangen Licht und Stimmen, doch Dietkes war nicht dabei. Sie fand die Dame des Hauses einige Zimmer weiter in einer Nische sitzen und herzzerreißend weinen. Leise trat sie zu ihr und legte den Arm um die schmalen, zitternden Schultern. Schniefend hob sie den Kopf und erkannte die Begine.
»Oh, Ihr seid es«, sagte sie mit rauer Stimme und schluchzte weiter.
»Die Gäste sind gegangen, Frau Dietke, und ein Arzt ist bei Eurem Mann. Fasst Euch ein wenig.«
Aber Dietke wurde noch immer von Krämpfen geschüttelt, und Almut ließ sie weiter in ihrem Arm weinen.
»Ich hab ihn gewarnt, er solle den Hardefust nicht einladen«, sagte sie schließlich und richtete sich ein wenig auf. Mit einem zarten Tuch wischte sie die Tränen vom Gesicht. Es war fleckig und verquollen, aber immer noch schön.
»Er muss einen rechten Hass auf Euren Gatten haben, ihn bei einer solchen Feier im eigenen Haus zu beleidigen.«
»Er dünkt sich so vornehm, er schaut auf de Lipa so herab. Und – ach – diese Gerüchte über den Wein haben uns schon so geschadet!«
»Aber es sind keine Gerüchte, Frau Dietke!«
Zornig schüttelte die Frau des Weinhändlers Almuts Arm ab und richtete sich entrüstet auf.
»Jetzt fangt Ihr auch noch damit an!«
»Verzeiht, Frau Dietke, aber Ihr müsst der Wahrheit ins Gesicht sehen. Es ist die Wahrheit, Jean hat in Eurem Lager Weinfässer vertauscht. Er hat es nicht aus eigenem Antrieb getan, sondern ist dazu angestiftet worden. Aber getan hat er es!«
Frau Dietkes Augen wurden groß und dunkel, und in ihnen glomm ein kleiner Funke Wut auf. »So, der kleine Schurke hat seinen geliebten Herren also wirklich hintergangen! Ich habe dem sanften Gehabe nie ganz getraut. Dieser Betrüger, dieser Lump! Bin ich froh, dass er endlich unter der Erde ist!«
Hass verzerrte Frau Dietkes Gesicht und ließ es gar nicht mehr schön aussehen, stellte Almut fest.
»Und Ihr habt dabei ein wenig nachgeholfen, nicht wahr, Frau Dietke? Indem Ihr ihm weitere drei Löffel der Arznei eingeflößt habt, nicht wahr, Frau Dietke? Vermischt mit einem tödlichen Gift!« Die Wut war verraucht, und Dietke starrte die Begine mit blankem Entsetzen in den Augen an. »War es nicht so?«
Almut hielt die Unterarme der zierlichen Frau fest in ihrem Griff, doch diese machte keine Anstalten, sich zu wehren.
»Nein, ich habe ihm die Medizin nicht gegeben. Ihr irrt!«, sagte sie mit fester Stimme.
»O doch, Frau Dietke. Ihr erinnert Euch doch, dass ich den Rest aus dem Fläschchen trinken musste. Und die Arznei darin war sehr verdünnt. Die fehlende Dosis war mit Wein aufgefüllt worden. Und das Fläschchen befand sich nur in Eurer Obhut, wie ihr selbst zugegeben habt.«
Dietke senkte zunächst die Augen, begehrte dann aber trotzig auf.
»Ich habe Jean nicht vergiftet!«
»Aber Ihr wolltet es tun, gebt es zu! Auch wenn Ihr ihm nicht selbst das tödliche Gift verabreicht habt, so habt Ihr doch gehofft, dass drei oder vier Löffel der Medizin ihn umbringen würden, denn Ihr wart dabei, als ich ihn davor warnte, mehr als zwei Löffel voll einzunehmen!«
Dietke begann wieder zu zittern, und hilflose Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Nein, ich habe ihn nicht umgebracht!«
»Alle Welt weiß, dass Ihr ihn gehasst habt, Frau Dietke!«
»Na und? Deshalb muss ich ihn doch nicht getötet haben. Natürlich konnte ich den kleinen Spitzbuben nicht ausstehen. Diesen Schöntuer und Speichellecker! Wenn Ihr wüsstet, wie sehr Hermann sich um ihn bemühte, wie er sich um ihn kümmerte und sich um ihn sorgte. Ich konnte krank sein oder gesund, das hat ihn nie berührt. Ich hatte eine Fehlgeburt und lag mit Schmerzen darnieder und wusste nicht, ob ich leben oder sterben würde, und er ist mit Jean in den Weingarten gefahren. Ich wollte, dass der Junge aus unserem Haus verschwand. Ich war unfreundlich zu ihm, aber de Lipa nahm ihn in Schutz. Er beschimpfte mich und zog sich mit ihm zurück.«
Sie lehnte den Kopf an die Wand und schluchzte laut auf, als würde sie von inneren Schmerzen zerrissen.
»Immer bin ich nur die Zweitbeste für ihn. Er wollte eine andere Frau, aber die lehnte ihn ab. Da nahm er mich, die Zweitbeste.
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