Der dunkle Spiegel
zu fragen, warum Ihr da so sicher seid.«
»Suchen wir uns einen Platz, wo wir in Ruhe nachdenken können, Begine.«
»Dann lasst uns hier zum Rhein hinuntergehen.«
In den Außenbezirken der Stadt war es ruhig am Ufer. Die meisten Schiffe lagen weiter stromauf an den Zolltoren. Sie erreichten den Fluss durch das Blumingsgassentor hinter St. Kunibert und gingen schweigend noch ein Stück weiter zur Stadtmauer. Hier lagen lediglich ein paar Fischerboote auf dem sandigen Strand, und außer ihnen gab es nur noch die weißgrauen Möwen, die auf den hölzernen Stegen saßen und hochmütig über den Strom blickten. Selbst das Klappern der Mühlenschiffe hörte man hier nur noch leise. Almut liebte diese Stelle, doch nicht oft hatte sie Gelegenheit, sie aufzusuchen, um an dem langsam dahinfließenden Rhein ihren Gedanken nachzuhängen. Umso mehr freute sie sich jetzt über die Möglichkeit, eine Weile dem Strom zu lauschen. Sie wies auf eine Treppe aus Steinen hin, auf der man von der Uferbefestigung zum Wasser gelangte, und ließ sich auf einer der Stufen nieder.
Die letzten Tage waren schön gewesen, sonnig, doch nicht zu heiß, mit kleinen, bauschigen Wölkchen am Himmel und einem wunderbar klaren Blick auf die andere Rheinseite. Ein sanfter Wind wehte hier am Wasser, und in seiner ganzen Majestät segelte ein weißer Schwan vorüber. Vielleicht war es die friedvolle Stimmung, vielleicht waren es auch die Wärme und das beruhigende Plätschern der kleinen Wellen, die Pater Ivos Falten glätteten. Almut bemerkte es und fasste den Mut, ihn wiederum anzusprechen, um ihm den Gang ihrer Gedanken vorzustellen.
»Wenn es faulige Dämpfe waren, Pater Ivo, dann wird es schwierig gewesen sein, sie in das Krankenzimmer hineinzubringen. Wäre es nicht eher denkbar, dass Jean sich selbst an einen Ort begeben hat, wo solche Dämpfe herrschen. Ich meine, ich weiß nicht, was in den Kellern, in denen Wein lagert, alles passieren kann. Aber wenn es wahr wäre, dass Frau Dietke die Arznei selbst genommen hat, dann könnte alles ein Unfall gewesen sein.«
»Mh. Weinfässer werden ausgeschwefelt. Es ist etwas dran an Eurer Theorie. Allerdings hat Jean schon zuvor in den Weinkellern gearbeitet, und andere tun es auch, ohne sich dabei zu vergiften. Außerdem, Begine – wieso ist dann Dietkes Spiegel schwarz geworden?«
»Könnte es nicht sein, dass sie ihn an einen solchen giftigen Ort gelockt hat?«
»Dann hätte sie selbst auch diese Symptome aufweisen müssen – Husten, gerötete Augen, laufende Nase und so weiter.«
»Nicht, wenn sie nur kurz dort war und ihn zum Beispiel eingesperrt hätte.«
»Wer aber hat ihn dann befreit und zurück ins Bett gebracht? Zwischen den Weinkellern und dem Wohnhaus liegen zwei Gassen. Man hätte das sicher beobachtet.«
»Aber ein Keller könnte es gewesen sein, Pater. Denn Jean sagte noch ein paar Worte zu mir. Ich habe sie nur halb verstanden. Er sprach von der Hölle, die so kalt und dunkel sei, und dass ich für ihn beten solle. Pater, die Hölle ist heiß, und die Feuer, in denen die Seelen schmoren, brennen hell. Oder nicht?«
»Ja, so sagt man, Begine. Und das, was er fürchtete, spricht eher für die Erinnerung an einen kalten, dunklen Keller, in dem sich vielleicht giftige Dämpfe ausbreiten.«
»Auch das Wohnhaus hat Keller. Und faulig riechen tut es allemal dort. Die Kloake liegt zu dicht am Haus, wisst Ihr. Mein Vater sollte eine neue bauen, weil der Geruch ziemlich penetrant wurde. Allerdings – Jean wird wohl kaum freiwillig in die Kloake gestiegen sein.«
»Nein, das nicht. Aber er hatte eine Wunde am Kopf. Möglicherweise rührte sie von einem betäubenden Schlag her.«
»Möglicherweise. Obwohl Thea meinte, sie sei älter. Denn das, was geschehen ist, muss zwischen dem Zeitpunkt, als de Lipa morgens nach ihm sah, und unserem Eintreffen am Nachmittag passiert sein.«
Almut und Pater Ivo sahen über das glitzernde Wasser hinweg und schwiegen nachdenklich. Doch dann begannen sie beide gleichzeitig.
»Mit dem Hustensaft…«
»Betäubt durch die Arznei! Richtig. Pater Ivo, so muss es gewesen sein. Dietke hat ihm den Hustensaft gegeben, und er hat tief geschlafen.«
»Sie aber wird ihn kaum alleine irgendwohin getragen haben.«
»Also muss ihr ein anderer geholfen haben.«
»Ein anderer, und da gibt es wieder viele Möglichkeiten…«
»Beispielsweise Tilmann. Und damit sind wir wieder bei meiner Lieblingsfrage, Pater Ivo. Ich stelle sie noch mal, auch wenn Ihr zürnt.
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