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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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das Silber des Spiegels schwärzte.«
    Während sie sich unterhalten hatten, war Trine lautlos wie die graue Katze umhergestrichen und hatte geschnuppert und geschaut. Angefasst hatte sie jedoch nichts. Jetzt zupfte sie an Krudeners Ärmel, und er schaute sie an. Sie wies auf einen Korb neben dem Athanor, dem Ofen, der eine stetige Wärme erzeugen sollte, um die langwierigen alchemistischen Prozesse in Gang zu halten.
    »Ah, dieses Kind scheint ein tiefes Verständnis für meine Kunst zu hegen«, meinte Meister Krudener und stand auf, um ihr zu folgen.
    »Sie wohnt und arbeitet mit unserer Apothekerin zusammen und kennt sich mit der Herstellung von Kräuterarzneien schon recht gut aus. Verzeiht ihr die Neugier.«
    »Schon gut. Was ich hier habe? Das ist die Materia prima. Oder besser gesagt, eine ihrer Formen. Ah, wie erklärt man dies ohne Worte?«
    Er hob ein weißes Ei hoch und sah Trine zweifelnd an. Dann zeigte er damit auf die verschiedenen Geräte in einer bestimmten Reihenfolge, ließ das Ei mit einem Taschenspielertrick verschwinden und zauberte zum Schluss ein Goldstück aus dem Ärmel hervor. Während dieser Transaktion krähte der Papagei wieder seine Litanei: »Putrefactio! Destillatio! Calcinatio! Sublimatio! Solutio! Coagulatio!«, und versuchte dabei, der grauen Katze, die vor seiner Stange lauerte, in den Schwanz zu kneifen.
    Trine, die einige der Gerätschaften erkannte, nickte plötzlich und nahm ein weiteres Ei aus dem Korb. Mit einem geübten Schwung schlug sie es an der Kante einer Tonschale auf und wollte es in einen Alambic gießen, als sie mitten in der Bewegung innehielt und heftig schnüffelte.
    »Igitt!«, meinte Almut. »Ein faules Ei.«
    »Da hat die Putrefactio offensichtlich schon eingesetzt«, stellte Meister Krudener fest.
    »Aber der rote Leu hat sich noch nicht gebildet«, meinte Pater Ivo mit einer halb amüsierten, halb angewiderten Grimasse.
    »Dafür war dieses Ei auch nicht vorgesehen. Es sollte zu meiner Abendmahlzeit werden, nicht zu Gold oder dem Elixier des ewigen Lebens. Obwohl – nun ja, eine gute Mahlzeit ist Gold wert und verlängert das Leben. Aber der Magd, die mir das geliefert hat, werde ich die Ohren lang ziehen! Immerhin jedoch für eines ist es gut, meine wissbegierigen Freunde. Das, was Ihr hier riecht, ist das Gas des Schwefels, das Silber schwärzt!«
    »Hilf Himmel, Frau Dietke wird Jean doch nicht mit einem faulen Ei vergiftet haben?« Die bizarre Atmosphäre in dem Labor und der wunderliche Alchemist reizten Almuts Heiterkeit.
    »Schwerlich mit
einem
Ei!«
    »Wir werden in Ruhe darüber nachdenken, Begine. Wir kennen das Wie, dann werden wir auch das Wo herausfinden.«
    »Und das Warum vielleicht auch. Und dann haben wir die Schuldigen, meint Ihr.«
    »Ich denke ja.« Pater Ivo erhob sich, und auch Almut stand auf, obwohl sie sich gerne noch länger mit dem Alchemisten unterhalten hätte.
    »Kommt vorbei, Frau Almut, und berichtet mir, wenn Ihr die Lösung gefunden habt«, sagte Meister Krudener, als er sie in den vorderen Raum zurückbegleitete. Er stöberte in zwei, drei Laden herum und förderte eine kunstvoll verzierte Schatulle hervor.
    »Wo ist das Kind? Ah, hier. Da Kleine, nimm ein Stück von diesem Konfekt.«
    Trine hielt eine durchsichtige rote kandierte Kirsche in der Hand, leckte sich vor lauter Vorfreude die Lippen und biss mit dem Ausdruck höchster Seligkeit hinein. Almut konnte nicht verhindern, dass ihre Zunge ebenfalls zwischen den Lippen hervorkam, und mit einem krächzenden, hohen Gackern meinte Krudener: »Kinder lieben dieses Zuckerwerk. Es scheint, als ob die
Frau
Almut auch noch das
Kind
Almut in sich hätte! Das gereicht Euch zur Ehre. Darum nehmt ebenfalls eine solche Süßigkeit. Ich habe sie selbst hergestellt, doch die Rezeptur stammt aus dem fernen Orient!«
    Almut nahm die Schatulle, blickte hinein und lächelte etwas verschämt ob ihres zur Schau gestellten Verlangens.
    »Diese Begine hat auch eine starke Neigung zu süßen Wecken…«
    »Zucker ist eine mächtige Arznei. Er besänftigt das Gemüt und heilt die Seele.«
    »Ich darf doch Pater Ivo auch ein Stück davon anbieten.«
    Almut hielt die Schatulle auffordernd zu Ivo hin. Krudener fasste ihr Handgelenk und drückte es wieder zurück.
    »Aber nein, Frau Almut. Er ist ein Mann Gottes und bedarf solch schlichten Trostes nicht.«
    Wieder verblüfften Almut die Blicke, die die beiden Männer miteinander wechselten. Der des Alchemisten war nicht freundlich, und in Pater

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