Der dunkle Spiegel
seid Ihr denn also doch noch. Schön, was also führt einen keuschen Priester, eine junge Frau und ein – oh, sehr neugieriges – Kind zu mir? Lass die Finger davon, Mädchen!«
Trine hatte sich hinter die Theke geschlichen und einen Topf geöffnet. Sie war gerade dabei, den Finger hineinzustecken, und wollte ihn ablecken. Mit einem schnellen Klaps auf die Hand hinderte Krudener sie daran und drohte ihr mit dem Zeigefinger. Dann führte er ihr mit erstaunlich schauspielerischem Talent eine Pantomime fürchterlicher Bauchkrämpfe vor, die allerdings ihre Wirkung verfehlte. Trine grinste ihn nur an und schüttelte den Kopf. Sie zeigte ihm, dass sie den Inhalt für lecker erachtete. Krudener klappte energisch den Deckel wieder zu und setzte ein grimmiges Gesicht auf. Trine zuckte mit den Schultern und blieb unbeweglich stehen.
»Eigenartiges Geschöpf! Woher weiß das Kind, was bekömmlich für sie ist und was nicht?«
»Sie hat einen ausgezeichneten Geruchssinn! Was enthält der Topf?«
»Etwas Kostbares, sehr Seltenes. Gemahlenen Zucker. Er ist süß, aber nicht gefährlich. Aber beantwortet jetzt meine Frage!«
»Dies führte uns zu Euch!« Pater Ivo legte den geschwärzten Spiegel auf den Tisch, und Meister Krudener beugte sich darüber.
»Der schmeichelnde Freund einer schönen Frau, doch nun angelaufen und nicht mehr brauchbar. Müsst Ihr in Begleitung eines Priesters kommen, Frau Almut, um das verräterische Zeugnis Eurer Eitelkeit reinigen zu lassen?«
»Es ist nicht mein Spiegel, Meister Krudener, und auch nicht das Zeugnis meiner Eitelkeit, denn die habe ich schon lange abgelegt. Dieser dunkle Spiegel ist Zeuge eines Mordes. Und von Euch, Meister, erhofften wir uns Aufklärung darüber, wie er sein Licht verlor.«
»Ah, ein Geheimnis. Ich liebe Geheimnisse. Erzählt mir mehr davon, vielleicht kann ich Euch helfen, Frau Almut. Folgt mir.«
Der Apotheker ging voran durch den höhlenartigen Raum und öffnete eine hinter Vorhängen verborgene Tür. Dahinter befand sich ein heller, luftiger, wenngleich nicht ordentlicher Raum. Es war ein Laboratorium, voll gestellt mit den seltsamsten Apparaturen. Manche davon erkannte Almut, und Trine strebte sofort auf den Alambic zu, der auf einem Ofen stand und in dem es leise blubberte. Almut hielt sie zurück. Ein Tisch war übersät mit eng beschriebenen Pergamenten, einer Waage und unzähligen kleinen und großen Gewichten, weiteren Töpfen und Phiolen.
»Calcinatio! Sublimatio! Solutio! Putrefactio! Destillatio! Coagulatio!«, krähte es lauthals vom Fenster her. Auf prächtig blau und grün schillerndem Gefieder brach sich die Sonne.
»Euer Papagei scheint ein versierter Alchemist zu sein!«, bemerkte Pater Ivo, während er und der Vogel einander interessiert beäugten.
»Nicht nur er!«, erwiderte Krudener kurz und schubste eine träge graue Katze von einem Pergament voller rätselhafter Zeichen.
»Setzt Euch und berichtet.«
Pater Ivo übernahm es, ihm eine kurze Zusammenfassung des Falls zu geben, die Krudener sich nachdenklich anhörte.
»Nigredo, die Schwärzung. Ein nicht ungewöhnlicher Prozess, dem auch Blei unterliegt, wenn es der Luft ausgesetzt wird. Doch handelt es sich um einen langsamen, stufenweisen Vorgang, Ihr aber vermutet zu Recht, dass die schnelle Schwärzung eine andere Ursache haben muss.«
»Unsere Apothekerin meint, es könnten faulige Dämpfe gewesen sein.«
»Nicht schlecht gedacht. Sagt mir, ist der Raum, in dem der Kranke lag, mit Schwefel ausgeräuchert worden?«
»Nein, den Eindruck habe ich nicht gehabt. Sollte er?«
»Bei manchen Krankheiten wird es empfohlen. Ihr hättet den schwefeligen Geruch sicher wahrgenommen.«
»Es ist nicht geräuchert worden. Zumindest nicht an jenem Tag«, fügte auch Pater Ivo hinzu. »Spielt das eine Rolle?«
»Es sind die Dämpfe des Schwefels, nicht die der Luft, die das Silber anlaufen lassen. Ein wenig davon ist in der Luft immer vorhanden. Sind sie vermehrt, stinken sie. Sind sie stark konzentriert, riecht man sie nicht mehr. Doch die Augen beginnen zu tränen, die Nase läuft, und das Atmen fällt schwer.«
»Und schließlich stirbt man daran.«
»Vermutlich. So weit habe ich es damit noch nicht getrieben.«
»Es wäre möglich, Pater Ivo. Jean war stark erkältet, zumindest sah es so aus. Und er hatte Atemnot.«
»Ja, auf diese Weise ist er gestorben. Doch wie hat man ihm diese giftigen Dämpfe verabreicht?«
»Das müsst Ihr selbst herausfinden. Ich kann Euch nur sagen, was
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