Der dunkle Thron
und jammerte. Nick ging leer aus.
»Gut gemacht, Tamkin«, räumte Sir Jeremy unwillig ein.
Nick nahm an, dass ›Ja, Sir‹ in diesem Falle nicht die gewünschte Antwort war und entschied sich für ein unverfängliches Nicken.
Der Stallmeister scheuchte sie mit einer Geste hinaus. »Ab zum Essen mit euch.«
Der Weg zur Gesindeküche führte durch einen kleinen Obstgarten und über ein gepflegtes, von einer gewaltigen Eiche beschattetes Stück Rasen zu einem Seiteneingang des Hauptgebäudes.
»Herrgott noch mal, hör endlich auf zu flennen, Mickey«, schalt Carl ungeduldig.
Der schmächtige braungelockte Junge schniefte und fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. »Ich hab’s nicht vergessen«, beteuerte er trotzig. »Ich hab’s einfach nicht geschafft!«
Carl lachte humorlos auf. »Das ist dem alten Schinder scheißegal, Junge. Dann musst du dir eben ein Beispiel an Tamkin nehmen, diesem Streber. Schufte für zwei, und dann kriegst du zur Belohnung ein ›Gut gemacht‹ zu hören.« Der Blick, mit dem er Nick bedachte, war ebenso verächtlich wie seine Worte.
Nick kam zu dem Schluss, dass er in seiner Sorgfalt bei der Arbeit mit Pferden, die ihm so selbstverständlich wie das Atmen war, ein wenig nachlassen musste, wenn er sich nicht die Feindschaft seiner beiden neuen Kameraden zuziehen wollte. Er hatte genau gesehen, dass Mickey das Huffett vergessen hatte, und sich im letzten Moment davon abgehalten, ihn darauf aufmerksam zu machen, so wie er es in seinem eigenen Gestüt natürlich getan hätte. Er hatte befürchtet, sich damit verdächtig zu machen und Argwohn zu erwecken. Genau das war ihm aber anscheinend schon am ersten Tag geglückt …
»Wie lange bist du schon hier, Mickey?«, fragte er den Jungen.
»Einen Monat«, bekam er verdrossen zur Antwort.
Nick lächelte ihm zu. »Du lernst es schon noch. So schwer ist es nicht.«
Mickey schniefte wieder und antwortete nicht.
An der Tür zur Gesindeküche murmelte Nick eine Entschuldigung, machte kehrt und verbarg sich hinter dem Stamm der Eiche. Als er Polly kommen sah, pfiff er leise durch die Zähne.
Ihr Kopf ruckte hoch, und sie blickte sich suchend um. Sie war nervös, erkannte Nick.
»Hier«, rief er gedämpft und lugte hinter dem Baum hervor.
Sie machte große Augen, sah dann nach rechts und links, ob die Luft rein war, und glitt zu ihm in den Schatten der Eiche. »Was bei allen Knochen Christi tust du hier, Lord Waringham?«, wisperte sie erschrocken.
»Schsch.« Er legte ihr einen Finger auf die Lippen, lächelte auf sie hinab und küsste ihr die Nasenspitze. Es tat gut, sie zu sehen, stellte er fest. »Ich bin Tamkin, der neue Stallbursche.«
»Aber was …«
»Nicht hier und nicht jetzt«, unterbrach er. »Kannst du eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit in den Obstgarten kommen?«
Sie hörte nicht zu. Als ihr aufging, was er vorhatte, wurden ihre Wangen fahl. »Oh, heilige Muttergottes, steh uns bei. Sie werden mich erwischen, und dann werden sie mich töten. Und wenn sie erfahren, von wem mein Kind ist, werden sie auch sie töten …«
Nick nahm ihre Hände. »Polly, du musst dich zusammennehmen«, befahl er leise. »Geh und iss. Dann komm in den Obstgarten, und ich werde dir alles erklären. Hab keine Angst, ich habe alles genau durchdacht.«
Sie schnaubte ungläubig, machte sich von ihm los und wandte sich ab.
Nick ließ ihr einen Moment Vorsprung, dann folgte er ihr in die Gesindeküche, einen großen, hellen Raum mit einem langen Tisch mit Bänken, der gleich neben der Hauptküche lag, wo die Speisen für die Herrschaft zubereitet wurden. Nick wusste, dass die Mahlzeiten das größte Risiko dieses verrückten Abenteuers darstellten, denn an diesem Ort war die Gefahr, einem der adligen Mitglieder des Haushaltes zu begegnen, am größten. Er wäre glücklicher gewesen, wenn die Gesindeküche ein düsteres, fensterloses Loch gewesen wäre. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit der Eintopfschale und dem Stück Brot, die die Köchin ihm reichte, auf den freien Platz neben Mickey zu begeben, wo er wenigstens mit dem Rücken zur Tür saß.
Er aß heißhungrig wie seine Gefährten und schaute sich dabei unauffällig um. Polly saß mit zwei weiteren jungen Mägden, die vielleicht auch Ammen der kleinen Prinzessin waren, ein Stück zu seiner Linken. Sie unterhielt sich angeregt, verbarg ihren Schrecken über seine Ankunft meisterlich und sah keinmal in seine Richtung.
»Das ist Polly, die Amme«, murmelte Mickey
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