Der dunkle Thron
zugesetzt. Beim zweiten Mal wäre ich ihm um ein Haar in die Arme gelaufen, als er wieder aufbrach. Mary hat sich geweigert, mir zu erzählen, was genau er gesagt hat, aber sie war kreidebleich, als ich mich abends zu ihr geschlichen habe. Und ihre Hände haben gezittert. Sie … sie lebt in ständiger Todesangst. Und das zu Recht.«
»Gott segne dich für das, was du für sie tust«, erwiderte Laura. »Und Madog und Polly ebenso.«
Nick stellte den Becher auf dem Tisch ab und fuhr sich mit beiden Händen über die brennenden Augen.
Er hatte vorgehabt, Laura von seiner Heirat mit Polly zu erzählen. Von der Schande, die ihm die Luft abschnürte, von dem Zorn, den er gegen seine Frau hegte und der immer bitterer wurde, je gefährlicher und aussichtsloser die Lage der Prinzessin und ihrer wenigen Freunde wurde. Von dem Sohn, den Polly vor sechs Wochen bekommen hatte. Es war eine grässliche Geburt gewesen, beinah so schlimm wie bei Eleanor, doch als es vorbei war und Polly ihn mit matter Stimme gebeten hatte, das Kind Robert zu nennen, hatte er sich nur mit Mühe davon abhalten können, sie zu schlagen. Er hatte neben ihr auf den Holzdielen ihrer Kate gehockt und die Rechte zwischen die Knie geklemmt, um sie im Zaum zu halten. Dass ihr jüngster Bruder, der mit fünf am Schweißfieber gestorben war, Robert geheißen hatte, war ihm entfallen. Für Nick war Robert der Name, den so mancher Waringham seinem Erstgeborenen gegeben hatte. Ein Name, der in seiner Familie eine besondere Bedeutung hatte. Und Pollys scheinbare Anmaßung hatte ihn mit solchem Abscheu erfüllt, dass er ihr das schlafende Neugeborene aus den Armen gerissen hatte und wortlos hinausgegangen war. Er hatte seinen Sohn zu Madog gebracht. »Hier. Dein Patenkind, wie besprochen. Bringst du ihn zu Vater David?«
Bereitwillig hatte Madog das winzige Bündel in die Hände genommen. »Und wie soll er heißen?«
»Entscheide du.«
Madog hatte ihn mit einem vorwurfsvollen Kopfschütteln bedacht und vorgeschlagen: »Wie wär’s mit Tamkin?«
Letztlich hatte der kleine Junge den Namen Francis bekommen, denn es war der 25. Mai – der Tag, an dem die Christenheit der Übertragung der Gebeine des heiligen Franziskus von Assisi gedachte, der ja in Madogs Familie besonders verehrt wurde. Nick war es recht. Genau genommen war es ihm gleich. Denn er konnte den Jungen so wenig lieben wie dessen Mutter.
All das hatte er Laura anvertrauen wollen. Er hatte die Gefahren, die ein Besuch in Waringham mit sich brachte, auch deshalb in Kauf genommen, weil er seine Schwester hatte sehen und sprechen wollen. Aber jetzt, da es so weit war, konnte er nicht. Womöglich war es der dicke Brocken in seiner Kehle, der ihn so sprachlos machte.
»Nick?« Laura legte eine Hand auf seinen Arm und sah ihn besorgt an.
Er schüttelte den Kopf, stand auf und trat ans Fenster.
»Du darfst nicht die Hoffnung verlieren, Bruder. Was du tust, ist richtig. Es hat einen Sinn. Und das ist alles, was zählt. Dass kein einziger Edelmann in England außer dir gewillt scheint, für die arme Mary auch nur einen Finger zu rühren, heißt nicht, dass du verrückt bist, sondern dass sie Opportunisten und Feiglinge sind«, ereiferte sie sich.
Nick musste fast lächeln. Das war so typisch: Schon als kleines Mädchen hatte Laura ihm mit kämpferischer Miene dargelegt, warum er besser war als alle anderen – vor allem besser als Brechnuss – und dass er deswegen am Ende triumphieren würde. Früher hatte ihn das manches Mal aufgerichtet. Aber er musste feststellen, dass er sich heute nicht mehr so leicht Sand in die Augen streuen ließ. »Mach mich nicht besser, als ich bin«, warnte er. »Deine Enttäuschung wird nachher nur um so bitterer sein.« Er lehnte die Stirn an die kühlen Butzenscheiben. »Gott … Manchmal habe ich das Gefühl, ich gehe ein vor Heimweh.« Es klang heiser. Seine eigene Stimme erschreckte ihn, und er riss sich schleunigst zusammen. »Das muss daran liegen, dass ich immer nur an die guten Dinge in Waringham denke«, fügte er in leichterem Tonfall hinzu und wandte sich wieder zu Laura um. »Wie etwa an meine Bücher. Sie fehlen mir wirklich. Auf Sumpfhexe kann ich hingegen wunderbar verzichten.«
Laura fiel auf die vorgetäuschte Unbeschwertheit nicht herein, aber sie bedrängte ihn nicht, sondern erwiderte: »Nun, du fehlst den Menschen hier jedenfalls auch, soviel ist sicher. Auch das ist ein Grund, warum ich froh bin, wieder hier zu sein, damit ich dich wenigstens
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