Der dunkle Thron
Söhnen werden sollte, die man früher ins Kloster gesteckt hatte und dort ein Leben lang gut versorgt wusste, hatten König Henry und Cromwell nicht bedacht. Doch was Nick erwiderte, war: »Es gibt noch jede Menge Klöster. In Schottland, in Irland, in Frankreich … überall.«
»Das kann nicht dein Ernst sein«, protestierte sie entsetzt.
»Nein.« Er seufzte ungeduldig und zog sein Wams über. »Herrgott, Polly, ich weiß noch nicht, was aus dem Jungen werden soll. Es ist schwierig. Alles wäre einfacher, wenn er ein Mädchen geworden wäre, aber …«
»Aber Gott hat anders entschieden«, unterbrach sie ihn. »Denk mal drüber nach.«
»Oh, natürlich. Das Argument, dem niemand etwas entgegensetzen kann.«
»Francis ist der einzige Sohn, den du hast. So unwürdig ich auch sein mag, dir bleibt gar nichts anderes übrig, als ihm Waringham zu vererben.«
»Nein?« Seine Stimme wurde schneidend. »Wenn du dich da nur nicht täuschst. Ich habe auch noch einen Bruder.«
»Aber dein Sohn kommt vor ihm dran. So ist das Gesetz.«
»Sieh an. Du hast dich kundig gemacht, hm?«
Sie stand auf, hielt das Laken mit einer Hand am Hals geschlossen, trat ohne Eile auf ihn zu und sah ihm einen Moment in die Augen. In den ihren stand Furcht. »Ich sag doch nur, wie es ist, Nick. Verstehst du denn nicht, dass Francis’ Zukunft mir am Herzen liegt?«
»Und mir liegt sie nicht am Herzen, meinst du, ja? Aber ich habe auch eine Verantwortung Waringham gegenüber. Meinen Vorfahren und meinen Nachkommen. Ach.« Er winkte ungeduldig ab. »Das kannst du nicht verstehen.«
»Hättest du mich doch nie geheiratet«, schleuderte sie ihm entgegen. »Das wäre für mich und meine Kinder viel besser gewesen. So wie es jetzt ist, gehören wir nirgendwohin. Keiner will uns haben. Du nicht. Und die Menschen in Waringham auch nicht. Aber Francis ist dein Erbe, ob es dir nun passt oder nicht, und ich schwöre dir, ich werde tun, was ich kann, damit er zu seinem Recht kommt.«
Nick ging ohne Eile zur Tür. »Sei nicht zu siegesgewiss, Polly. Francis ist nur dann mein Erbe, wenn du beweisen kannst, dass ich dich je geheiratet habe. Die einzigen Zeugen unserer Trauung waren Vater David und Lord Shelton. Beide sind tot. Und im Pfarrregister von Eltham steht nur, dass ein gewisser Tamkin Nicholson eine gewisse Polly Saddler geehelicht hat.« Er öffnete die Tür und trat hinaus auf den Korridor. »Denk mal drüber nach.«
London, Juni 1540
»Was für eine Hitze.« John Harrison riss der Magd den Bierkrug beinah aus den Fingern und trank durstig. »Die Straßen sind ein Albtraum aus Staub und Fliegen.«
»Was du nicht sagst«, erwiderte Nick bissig. Er war von Kopf bis Fuß mit bräunlichem Staub bedeckt aus Hertfordshire zurückgekehrt. Er sehe aus, als habe man ihn in Teig gewälzt und dann gebacken, hatte Helen ihm zur Begrüßung eröffnet, als er sein Stadthaus in Farringdon betreten hatte.
John war derzeit dessen einziger ständiger Bewohner. Er unterhielt in dem alten Anwesen an der Shoe Lane seine Praxis. Die Halle im ersten Stock hatte er in eine Bibliothek mit medizinischen und theologischen Werken verwandelt, die zwei ganze Wände füllten. Nick hatte keine Einwände erhoben, denn die Bücher verliehen dem Raum Behaglichkeit, und die Halle erinnerte ihn an die Bibliothek seines Vaters in Waringham.
Die eigentlichen Behandlungsräume befanden sich in dem Nebengebäude im Hof, das lange Zeit an eine Bäckerfamilie verpachtet gewesen war, und in der einstigen Goldschmiede daneben bot ein Apotheker seine Tinkturen und Pulver feil. Das Arrangement hatte sich bewährt. Nick weigerte sich, von John Pacht anzunehmen, weil der sein Cousin und ihm selbst außerdem daran gelegen war, dass das alte Haus nicht leer stand und verfiel; und John steckte das Geld, das er somit sparte, bereitwillig in die Krippe.
Nick hatte ein Bad genommen und frische Kleider angelegt, und als auch er nun von Helen einen Becher kühles Ale bekam, fiel alle Mühsal der Reise von ihm ab. Er setzte sich an den Tisch und streckte die langen Beine Richtung Fenster aus. »Hast du Hausbesuche gemacht?«
John nickte und setzte sich ihm gegenüber. »In der Vintry, in East Cheap und im Tower, ob du’s glaubst oder nicht. Der Constable ließ mich zu Lady Margaret Pole rufen.«
»Ist es etwas Ernstes?«
John hob die Schultern. »Sie ist alt, Nick. Ihr Herz macht ihr zu schaffen.«
»Das ist kein Wunder. Auf die alten Tage findet sie sich plötzlich in Ungnade und im
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