Der dunkle Thron
hielt Nick dagegen. »Es ist gefährlich, seine Meinung in Glaubensfragen gar zu laut in die Welt hinauszuposaunen. Und Richard ist zu jung und ungebildet, um sich eine eigene Meinung erlauben zu können. Darüber hinaus ist es ungehörig, seinem Lehrer zu widersprechen. Von undankbar ganz zu schweigen.«
»Gewiss«, pflichtete Martha ihm bei, aber er argwöhnte, dass sie insgeheim anderer Ansicht war.
Nick konnte nur hoffen, dass die Köchin nicht eines Tages wegen Ketzerei und Häresie verhaftet wurde, denn das ging heutzutage schnell. Er wandte sich zur Tür. »Ich bin drüben. Sag Schwester Janis, ich würde sie gern sprechen, wenn sie fertig ist.«
»Wird gemacht, Mylord.«
Nick ging zurück in den Innenhof, als ein Mann mit einem kostbaren Pferd am Zügel durch das große Tor trat. Er entdeckte Nick, hob die Linke und winkte fröhlich.
»Chapuys!« Nick war verblüfft. »Was um alles in der Welt verschlägt Euch hierher?«
Der kaiserliche Gesandte band seinen schwitzenden Rappen an einen Eisenring. »Ich statte Euch einen Besuch ab, Mylord«, erklärte er mit einer kleinen Verbeugung.
»Hier?«
Chapuys sah sich kurz im Hof um und nickte. »Ich denke darüber nach, eine Schule zu gründen, wenn ich eines Tages in meine Heimat zurückkehre, wisst Ihr. Darum sehe ich mir alle neuen Schulen in London an.«
Nick vollführte eine einladende Geste. »Nur zu. Aber die Krippe ist gewiss nicht das, was Ihr Euch unter einer Schule vorstellt. Vielleicht ein Schluck Wein vor Eurem Rundgang?«
»Ich fing an zu befürchten, Ihr würdet nicht fragen. Diese Hitze ist eine Prüfung für mich. Ich ziehe verregnete Sommer vor, Mylord.«
Nick führte ihn ins Priorzimmer. »Endlich begreife ich, warum Ihr Euch ausgerechnet für diesen Posten hier beworben habt …«
Der große Tisch in der Raummitte sah aufgeräumter aus, als er ihn je gesehen hatte. Man musste sich schon fast gar nicht mehr schämen, einen Besucher hier zu empfangen. Zufrieden nahm Nick einen kleinen Schlüssel, der in einem Astloch eines Fachwerkbalkens versteckt lag, sperrte einen niedrigen Schrank auf und holte einen verschlossenen Krug und zwei Becher hervor. »Immer unter Verschluss«, erklärte er. »Manchen Kindern müssen wir erst das Stehlen abgewöhnen, wenn sie herkommen.«
»Es ist ein wahrhaft gutes Werk, das Ihr hier tut, Waringham. Gott segne Euch dafür.« Ausnahmsweise spottete Chapuys einmal nicht.
Nick war es immer unangenehm, wenn das jemand zu ihm sagte, und er wechselte das Thema. »Würdet Ihr mir einen Gefallen tun?«
Chapuys nahm den Becher und setzte sich an den Tisch. »Vermutlich.«
»Seit ein paar Tagen haben wir hier eine Schwester Janis. Janis Finley of Fernbrook. Sie behauptet, sie sei Nonne, aber in den Akten der Augmentationskammer taucht ihr Name nicht auf.«
Chapuys strich sich mit dem Daumen übers Kinn. »Und nun soll ich für Euch herausfinden, ob sie Cromwells Spionin ist?«
Nick hätte sich um ein Haar an dem guten Burgunder verschluckt. »Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen«, bekannte er röchelnd, schlug sich ein paarmal mit der Faust vor die Brust und hustete.
»Oh, Ihr unverbesserliches Unschuldslamm … In welchem Kloster war Eure Schwester Janis denn angeblich?«
»Bei den Benediktinerinnen in Wetherby.«
Chapuys nahm abrupt die Hand vom Kinn, besann sich aber und schwieg.
Doch Nick war die Geste nicht entgangen. »Was ist mit diesem Kloster?«
»Gar nichts«, gab der Gesandte ein wenig zu schnell zurück.
»Chapuys …«
»Ich werde Erkundigungen einziehen, und in einigen Tagen lasse ich Euch wissen, was ich herausgefunden habe«, stellte dieser in Aussicht, wieder gänzlich gelassen.
»Aber warum sagt Ihr mir nicht …« Nick unterbrach sich, als polternd die Tür aufflog.
Zwei Männer in Cromwells geviertelter, gelb-blauer Livree traten über die Schwelle, stießen die Schäfte ihrer Piken donnernd auf den Boden, und der Rechte brüllte: »Mitkommen, Waringham!«
Nick spürte ein Brodeln in der Magengegend, als hätte er eine Handvoll glühender Holzkohlen verschluckt. Dieses spezielle Gefühl plötzlicher Todesangst war für ihn untrennbar mit dem Namen Thomas Cromwell verbunden, und vermutlich ging es den meisten Engländern so. Cromwells Macht gründete darauf. Aber Nick wollte verdammt sein, wenn er dessen Finstermännern den Triumph gönnte, ihn schwitzen zu sehen. Scheinbar seelenruhig leerte er seinen Becher. »Was heißt ›mitkommen‹, Gentlemen? Wohin? Warum?
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