Der dunkle Thron
In wessen Namen?«
»Im Namen Seiner Lordschaft Thomas Cromwell, Generalvikar der englischen Kirche, Lord Great Chamberlain, Master of the Rolls, Privatsekretär Seiner königlichen Majestät und Earl of Essex«, verkündete der Linke.
Chapuys schlug die Beine übereinander und bemerkte: »Und ich ahnungsloser Ausländer habe immer gedacht, nur der König könne einen Edelmann verhaften lassen …«
Cromwells Bluthunde beachteten ihn nicht. Sie wussten, wer er war, und er war ihnen nicht geheuer.
»Mitkommen, Waringham!«, brüllte der Rechte noch einmal, lauter als zuvor, als hoffe er, so den gewünschten Effekt zu erzielen.
Nick stand auf. »Na schön. Ich komme, und Ihr habt mein Wort, dass ich unterwegs nicht versuchen werde zu verschwinden. Dafür möchte ich, dass Ihr darauf verzichtet, mir die Hände zu binden.« Denn wenn die Kinder hier sähen, wie er gefesselt abgeführt wurde, würden sie glauben, dass sie das Dach über dem Kopf verlören, und in Panik geraten.
Cromwells Schergen tauschten einen unsicheren Blick, dann nickten sie ihm zu.
Nick stellte den leeren Becher auf den Tisch und sagte zu Chapuys: »Wenn Ihr bis heute Abend nichts von mir gehört habt, seid so gut und verständigt Doktor Harrison.«
Der Gesandte nickte, seine Miene wie so oft undurchschaubar. »Natürlich, Mylord.«
Es war nur eine knappe Meile von der Old Fish Street zu Cromwells Amtssitz an der Chancery Lane, und sie gingen zu Fuß.
Die Menschen auf den belebten Straßen, die den jungen Earl of Waringham flankiert von Cromwells Männern kommen sahen, wandten hastig den Blick ab, nickten einander ernst und verstohlen zu, manche bekreuzigten sich auch. Eine Mischung aus Mitgefühl und Scham stand in den Gesichtern; Mitgefühl für das arme Schwein, das es erwischt hatte, Scham über die Erleichterung, dass es einen nicht selbst getroffen hatte. Genau so, wie Menschen empfanden, wenn sie hörten, dass jemand die Pest hatte: ein Todesurteil, ein grausames Schicksal, welches das Opfer von der Welt der Lebenden isolierte, und umso furchtbarer, als jeder wusste, dass er selbst morgen der Nächste sein konnte.
Das Rolls House war eine sonderbare Mischung aus Kirche und Kontor. Lange hatte es den Juristen der Chancery Lane als Kapelle gedient und gleichzeitig als Archiv der Kammer des Lord Chancellor. Einst ein Ort der Stille und Gemächlichkeit, herrschte jetzt ständiges Kommen und Gehen.
Vor dem Portal standen zwei Wachen in Cromwells Livree, die ihre Kameraden mit dem Earl of Waringham passieren ließen, ohne Fragen zu stellen.
Nick wurde in einen kühlen, dämmrigen Vorraum geführt, wo unter einem kleinen Rundbogenfenster ein graubezotteltes Männlein an einem Tisch saß.
»Waringham«, sagte eine der Wachen zu ihm.
Das Männlein sprang von seinem Schemel auf, ohne Nick in die Augen zu sehen, huschte durch eine Doppeltür in einen Nachbarraum und kam im Handumdrehen zurück. »Bringt ihn rein.«
Nick wurde in einen großen, spärlich möblierten Raum geführt. Schulterhohe Regale säumten die Wände, gefüllt mit den ungezählten Pergamentrollen, die diesem Haus seinen Namen gaben. Hier waren die Fenster breiter und mit bernsteinfarbenen Butzenscheiben verglast, durch die die helle Junisonne schimmerte. An einem riesigen Tisch, der gewiss einmal in einem klösterlichen Refektorium gestanden hatte und der mit Schriftstücken übersät war, saß Thomas Cromwell.
Er nickte den Ankömmlingen zu – ohne das verschmitzte Lächeln, das Nick immer so verabscheut hatte. »Waringham.«
»Cromwell«, gab Nick zurück. »Oder sollte ich ›Mylord of Essex‹ sagen?«
»Das ist mir gleich«, gab der Generalvikar gelangweilt zurück. »Ich war nie besonders versessen auf einen Adelstitel.«
»Natürlich nicht …«
Nick betrachtete sein Gegenüber. In den vier Jahren, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, war Cromwell ein bisschen in die Breite gegangen, die Knollennase war fleischiger geworden und mit einem feinen Spinnennetz aus Äderchen überzogen, das auf einen unbescheidenen Weingenuss hindeutete. Wie stets trug er Kleidung in gedeckten Farben. Das Haar unter dem schwarzen Barett war ergraut. Aber die auffälligste Veränderung lag in den Augen: Der siegesgewisse, verschlagene Ausdruck war tiefer Erschöpfung gewichen.
Gut so , dachte Nick mit Genugtuung.
»Wartet draußen«, wies Cromwell seine Männer an.
Nick hörte ihre schweren Schritte, dann schloss sich die Tür.
Cromwell stützte die kurzen, beringten
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