Der dunkle Thron
er auf. »Was?«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein, Mann.« Es klang fast beschwörend. »Wie lange willst du mir noch grollen? Und Louise? Es waren schwierige Zeiten damals, und wir alle mussten Entscheidungen treffen, die uns nicht leichtgefallen sind, aber …«
Nick befreite seinen Arm mit einem kleinen Ruck. »Ich kann nicht feststellen, dass die Zeiten sich geändert hätten.«
Natürlich hatte er nicht vergessen, welch gute Freunde sie einmal gewesen waren. Oder wie Jerome ausgerechnet an dem Tag in Waringham aufgekreuzt war, da Edmund Howard sich angeschickt hatte, Nick mit Fäusten und Tritten zu überreden, ihn zum Steward zu machen. Ohne Jeromes Hilfe hätte er niemals rechtzeitig den Weg aus der finanziellen Misere eingeschlagen, die sein Vater ihm hinterlassen hatte, und Waringham wäre verloren gewesen. Er hatte ihm viel zu verdanken. Aber vergeben konnte er ihm nicht. »Gestern noch hat Cromwell mir gedroht und versucht, mich zu erpressen.« Er blickte kurz zu seiner Stiefmutter. »Es waren übrigens Euer Kopf und der Eures Bruders Norfolk, die er wollte.« Sie zog erschrocken die Luft ein, aber Nick ignorierte sie und fuhr an Jerome gewandt fort: »Jetzt sieht es so aus, als sollte Cromwell selbst es sein, der den Kopf verliert. Doch was ist nächste Woche? Nichts ist anders geworden, Jerome. Die grauen Eminenzen hinter Henrys Thron wechseln, genau wie die Königinnen, aber Willkür und Machtgier regieren weiter. Und auf wen soll man sich in solchen Zeiten verlassen, wenn nicht auf seine Freunde?«
»Allmählich verliere ich die Lust, dir die Hand zu reichen, aber ich habe nie aufgehört, dein Freund zu sein, Nick«, entgegnete Jerome.
Doch, dachte Nick unversöhnlich, das hast du. Du hast meine Todfeindin geheiratet, weil es finanziell und politisch vorteilhaft war.
»Bemüh dich nicht um meinetwillen, Liebster«, sagte Brechnuss mit einem Lächeln in der Stimme. »Er ist und bleibt ein Verräter, du hast doch gehört, was er gerade gesagt hat. Mir ist seine Feindschaft allemal lieber als seine Freundschaft, und du bist nicht auf ihn angewiesen.«
Mit einem bitteren kleinen Lächeln sah Nick Jerome an. »Da hast du’s, Liebster. Besser, du hörst auf sie.« Und damit wandte er sich endgültig ab.
»Nicholas, was fällt dir ein«, keifte Sumpfhexe ihm nach. »Komm sofort zurück und sag mir, was Cromwell von dir wollte!«
»Ach, Mutter, was soll das jetzt noch für eine Rolle spielen«, widersprach Brechnuss wegwerfend.
Sie fingen an zu streiten, aber sie hielten die Stimmen gesenkt, damit das Gesinde sie nicht hörte, und so hatte Nick keine Mühe zu verstehen, was Jerome Dudley ihm nachraunte: »Dann fahr doch zur Hölle, Waringham …«
Anfang Juli wurde es schwül, und nachmittags standen manchmal schwarze Wolkentürme im Osten, doch sie fielen regelmäßig wieder in sich zusammen, ohne einen Tropfen Regen auf die ausgedörrte Erde fallen zu lassen. Nick wusste, dass die Bauern sich um die Ernte sorgten.
»Ich muss gestehen, dass ich deinen Bergfried nun zum ersten Mal richtig zu schätzen lerne«, bekannte Vater Simon, der mit ihm in der großen Halle stand. »So jämmerlich wir hier im Winter frieren, so angenehm kühl haben wir es jetzt.«
»Das nennt man wohl ausgleichende Gerechtigkeit«, erwiderte Nick, blickte zur hohen Decke empor und dann zu den riesigen Kaminen in den beiden Stirnwänden. »Eine Halle wie diese wird man wohl nie richtig warm bekommen. Selbst wenn Fenster und Türen halbwegs dicht wären – was sie natürlich nicht sind –, ist die Luft ständig in Bewegung, und darum zieht es immer unangenehm. Daran würden auch vier Kamine nichts ändern.«
»Nein. Das ist wohl der Grund, warum Hallen mit nackten Steinwänden und meilenhohen Decken aus der Mode kommen. Man friert schon allein von ihrem Anblick.«
»Hm. Jim meint, wir sollten eine niedrigere Holzdecke einziehen und die Wände verputzen. Aber sie ist so ein wundervoller Raum, es wäre eine Schande.«
Die neuen Glasfenster waren bunter, als es für ein weltliches Bauwerk üblich war, weil die rautenförmigen Butzenscheiben aus verschiedenen Klosterkirchen in Kent stammten – die meisten aus St. Thomas. Wenn die Sonne so wie jetzt auf die Scheiben fiel, malte sie farbige Tupfen an die nackten Mauern.
»Kannst du dir vorstellen, wie es einmal war, Simon? Große Teppiche an den Wänden, prasselnde Feuer in den Kaminen, ganze Pfauen im Federkleid auf der Tafel, und das Kerzenlicht, das sich in
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