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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Füße werfen und nach Wales verschwinden. Vielleicht habt Ihr ja eines Tages genug von der Krippe, Schwester Janis. Dann könnt Ihr bei mir als Stallmeister anfangen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Darauf braucht Ihr nicht zu hoffen. Ich habe in der Krippe meine Zuflucht und meine Bestimmung gefunden, Mylord. Zum ersten Mal im Leben habe ich das Gefühl, wirklich ganz dorthin zu gehören, wo ich bin. Ich habe genau das gefunden, was ich wollte. Und freiwillig gebe ich es nicht wieder her.«
    Nick lächelte tapfer und versuchte, froh für sie zu sein.

Hampton Court, Januar 1541
    Die frühe Winterdämmerung hatte eingesetzt, aber das Neujahrsfest war noch in vollem Gange. Die Bassanos spielten eine beschwingte Gaillarde nach der anderen. Der Duke of Suffolk tanzte mit seiner blutjungen Gemahlin, der Earl of Burton mit Sumpfhexe, Jerome Dudley mit Brechnuss, Raymond mit einer jungen Cousine der Königin, und die Königin ihrerseits tanzte mit ihrer Vorgängerin, Anna von Kleve. Der König hatte sich bereits zurückgezogen, denn er fühlte sich nicht wohl, aber das schien Königin Katherines Festtagsfreude nicht zu trüben.
    »Oh, vergebt mir, liebste Schwester!«, rief sie aus und lachte ausgelassen, als sie und Anna bei einer Drehung wieder einmal zusammenstießen. »Ich vergesse ständig, dass ich der Mann bin …«
    »›Liebste Schwester?‹«, wiederholte Nick, ebenso gedämpft wie ungläubig. »Werden Frauen, die nacheinander mit demselben Mann verheiratet waren, dem Gesetz nach zu Schwestern? Oder nennen die verschleierten Schönheiten im Harem des osmanischen Sultans einander so, und Katherine und Anna haben die Sitte in Ermangelung anderer Präzedenzfälle aufgegriffen?«
    Chapuys lachte in seinen vergoldeten Becher. »Henry nennt Anna neuerdings seine ›geliebte Schwester‹. Klug, wie sie sind, folgen die beiden Damen einfach seinem Beispiel.«
    »Ja, ich nehme an, das verlängert die Lebenserwartung einer englischen Königin heutzutage beträchtlich …«
    Von ihrem Platz in einer dämmrigen Fensternische nahe der Tür beobachteten sie, wie die beiden »Schwestern« Arm in Arm an die hohe Tafel zurückkehrten, wo Katherine ihrer Vorgängerin einen Ring und einen putzigen Welpen mit einem goldenen Halsband schenkte – zwei der Neujahrsgaben, die sie von Henry erhalten hatte. Anna bedankte sich überschwänglich, und die beiden ungleichen Königinnen steckten die Köpfe zusammen, bis ein junger Mann respektvoll hinzutrat und Katherine mit einem charmanten Lächeln um den nächsten Tanz bat.
    »Thomas Culpeper«, bemerkte Nick.
    »Ihr kennt ihn?«, fragte der kaiserliche Gesandte interessiert.
    Nick schüttelte den Kopf. »Mein Bruder hat mir vorhin beim Essen zugeflüstert, wer er ist. Ich kannte bislang nur seinen schillernden Ruf. Ich schätze, jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Kent hat von Master Culpeper gehört …«
    Thomas Culpeper hatte in einem Wald gar nicht weit von Waringham die Frau eines Forstaufsehers vergewaltigt. Angelockt von den verzweifelten Schreien des Opfers war ein Bauer des nahen Dorfes herbeigeeilt, und als er einschreiten wollte, hatte Culpeper ihn erschlagen. Eigentlich hätte er dafür aufgeknüpft werden müssen, aber er war ein Mitglied des Privy Chamber  – des erlauchten Kreises der engsten Vertrauten des Königs –, und Henry hatte Culpepers Verbrechen als jugendlichen Übermut abgetan und den Übeltäter begnadigt. Weder der eine noch der andere hatte sich damit bei den einfachen Leuten in Kent sonderlich beliebt gemacht.
    »Die Königin scheint nicht zu wissen, was er getan hat«, sagte Nick, der sie verstohlen beobachtete.
    »Nein«, stimmte Chapuys zu. »Die Königin weiß praktisch nichts von dem, was um sie herum geschieht. Sie ist ein flatterhaftes, oberflächliches Geschöpf, fürchte ich, und nicht besonders gescheit. Sie genießt die prächtigen Feste, die Kleider und Juwelen, die der König ihr schenkt, und nichts anderes interessiert sie.«
    »Sie ist fast noch ein Kind«, gab Nick zurück. »Und für ein so junges Ding kann es nicht einfach sein, als Gemahlin an Henrys Seite zu leben. Vielleicht ist es ein Segen, dass sie in der Lage ist, die angenehmen Seiten ihres Daseins unbeschwert zu genießen.«
    »So ungewohnt nachsichtig?«, spöttelte Chapuys. »Dabei war die Königin über die Feiertage auffallend schroff zu Lady Mary. Ich war überzeugt, damit hätte sie bei Euch für alle Zeiten verspielt.«
    »Ja, macht Euch nur lustig über mich«,

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