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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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wenige –, und das Gelernte weiterzugeben. Zu lehren war ihre Bestimmung und ihre Leidenschaft. Dass sie ihr Leben dafür Gott weihen musste, war ein geringer Preis. Sie hatte nichts gegen Gott. Er stellte hohe Ansprüche, aber anders, als ein Ehemann aus Fleisch und Blut es getan hätte, verlangte er nicht, dass sie den Büchern abschwor und ihm das Denken überließ. Sie hatte sich nie nach einem Mann in ihrem Leben gesehnt.
    Dann war das Kloster in Wetherby aufgelöst worden, die verbliebene Schwesternschaft auf das Landgut der Mutter Oberin gegangen, und dort war das Grauen über sie alle gekommen. Das Grauen in Männergestalt. Seit jener Nacht hatte Janis’ höfliches Desinteresse Männern gegenüber sich in etwas Abscheuliches verwandelt, eine Mischung aus Furcht und Hass und Verachtung, die wie ein wucherndes Geschwür an ihrer Seele fraß. Sie wehrte sich dagegen. Sie weigerte sich mit der ihr eigenen Sturheit, sich auffressen zu lassen, und wie seit jeher waren Bücher ihr wirksamstes Gegenmittel. Sie las die Bibel, um zu lernen, Edmund Howard und seinen Bestien und sich selbst zu vergeben. Sie las Plutarch und Homer, um sich daran zu erinnern, dass viele Männer gut und ehrenhaft, manche sogar groß waren. Und sie behielt sich selbst im Auge und versuchte zu verhindern, dass die Erlebnisse jener Nacht ihr Verhältnis zu Männern im Hier und Heute prägten und vergifteten. Dennoch misstraute sie ihnen, und hätte sie in eine ausschließlich weibliche Gemeinschaft zurückkehren können, hätte sie es lieber heute als morgen getan. Also wie, wie war es nur möglich, dass sie jedes Mal, wenn sie den Hof der Krippe überquerte, zum Tor blickte, weil sie hoffte, Nicholas of Waringham hindurchreiten zu sehen?
    Nick half Master Gerard bei der Brotausgabe an die Straßenkinder, denn es hatte schon wieder dichtes Schneetreiben eingesetzt, und niemand verspürte großes Verlangen, sich unnötig lange im Freien aufzuhalten. Die Brotkörbe waren mit großen Tierhäuten abgedeckt, aber viele der Laibe waren trotzdem durchweicht. Die Kinder beklagten sich indes nicht. Mit blauen Lippen, die meisten nur mit Lumpen an den Füßen, standen sie geduldig im Schnee und warteten, bis sie an der Reihe waren, und Nick wusste, dass höchstens die Hälfte von ihnen es bis zum Frühling schaffen würde.
    »Ich wünschte, wir könnten heiße Suppe statt Brot ausgeben«, gestand er seufzend, als er das Priorzimmer betrat. »Die Kälte macht den Kindern schwer zu schaffen.«
    Janis saß am Tisch – der jetzt immer makellos aufgeräumt war – über die Abrechnung gebeugt, Feder und Tintenhorn in Reichweite. »Das Brot macht sie wenigstens satt«, widersprach sie. »Auch eine Schale Suppe am Tag würde sie nicht vor den bitterkalten Nächten schützen.«
    »Nein, ich weiß.« Er setzte sich ihr gegenüber auf einen Schemel, löste die Börse vom Gürtel und schüttete den Inhalt vor ihr aus. »Hier. Das sollte für mehr als die noch fehlenden Schuhe reichen.«
    Besitzergreifend fegte Janis die Münzen zu sich heran und begann zu zählen. »Ein Souvereign?«, fragte sie ungläubig und hielt die funkelnde Goldmünze hoch.
    »Von Prinzessin Mary«, berichtete er stolz. »Ich habe schwer dafür arbeiten und vier Zeilen Horaz übersetzen müssen.«
    Janis schmunzelte und schloss die kleine Faust um den Goldschatz. »Das ist großartig, Mylord. Es mangelt auch an warmer Kleidung, und wir konnten nicht einmal zu Weihnachten Fleisch auf den Tisch bringen. Es fehlt praktisch an allem …«
    Er nickte. »Das letzte Jahr war schwer. Die hohen Kornpreise haben fast unser ganzes Budget aufgezehrt. Ich weiß nicht, was wir getan hätten, wenn Master Durham nicht schon im Herbst …« Er unterbrach sich und lauschte. Trotz der geschlossenen Tür hörte er pfeifende, zweifellos harte Schläge. Nick schnitt eine kleine Grimasse. »Da scheint jemand ganz schön in Schwierigkeiten zu sein.«
    Janis sah nicht auf, sondern fuhr fort, die Münzen zu sortieren. »Es ist Richard. Er ist aufsässig und lässt keine Gelegenheit aus, Master Gerard herauszufordern.«
    »Tja, da kann man nichts machen.« Nick lehnte sich zurück und streckte die Beine unter dem Tisch aus. »Er trägt die Folgen wenigstens klaglos, wie ich höre.«
    »Oh ja«, gab sie zurück. »Er ist ein ganz harter Bursche. Oder jedenfalls sollen wir das glauben. Aber in Wirklichkeit ist er ein verängstigtes Kind wie alle hier.«
    »Er ist mindestens vierzehn,

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