Der dunkle Thron
nicht!«
Wieder gab es Gelächter am Tisch, das die Sorge wegen der schlechten Ernte und des drohenden Hungerwinters zumindest für den Moment bannte. Nick dachte flüchtig, dass der häusliche Frieden, der hier neuerdings eingekehrt war, unbestreitbar seine Vorzüge hatte. Selbst wenn er keinem ehrlichen Verständnis füreinander entsprang, sondern streng genommen eine Lüge war. Nick hob seinen kleinen Bruder auf sein Knie, malte mit dem Löffel Buchstaben in die sämigen Soßenreste am Boden seines Tellers und gab Ray Gelegenheit, ein wenig mit seinen neuen Lesekünsten aufzuschneiden, als krachend die Tür aufflog.
Ray blieb das Lachen im Halse stecken, und erschreckt wandte er den Kopf, genau wie alle anderen.
Ein untersetzter kleiner Mann mit einer drolligen Knollennase trat über die Schwelle, dicht gefolgt von zwei livrierten Wachen.
»Lord Waringham?«
»Was hat das zu bedeuten, Sir?«, fragte dieser mit einem unwilligen Stirnrunzeln.
Der kleine Mann verneigte sich mit einem verschmitzten Lächeln, das ein scheinbar gutmütiges Funkeln in seine Augen brachte, aber so gar nicht zu seinen nächsten Worten passte. »Ich bedaure, Mylord. Ich muss Euch bitten, uns zu begleiten.«
Niemand am Tisch rührte sich. Dann erhob Lord Waringham sich ohne Eile von seinem Platz und trat einen Schritt auf seinen Besucher zu. »Und Ihr seid, Sir?«
»Thomas Cromwell, Mylord, erster Sekretär Seiner Eminenz, des Lord Chancellor.«
Bessy stand mit einem Mal an der Tür, die Augen geweitet und voller Angst. »Tut mir leid, Mylord, die Gentlemen wollten nicht warten, bis ich sie melden konnte, und …«
»Es ist schon gut, Bessy«, sagte Jasper. Er klang vollkommen ruhig, aber eigenartig, beinah, als spreche er im Traum. »Sei so gut und hol meinen Mantel. Dann geh und weck Paul. Er soll mir ein Pferd satteln.«
Nick stand auf und stellte seinen Bruder auf die Füße, der zu seiner Mutter lief und sich mit beiden Händen an ihren Rock klammerte.
Nick wollte etwas sagen, fand keine Stimme und räusperte sich. »Was hat das zu bedeuten, Vater?«
»Wie es aussieht, sind diese Gentlemen gekommen, um mich zu verhaften.«
»Weswegen?«, entfuhr es Laura.
Jasper wandte sich fragend an den kleinen Kerl mit der Knollennase.
Thomas Cromwell winkte beschwichtigend ab. »Ich bin sicher, es wird sich alles im Handumdrehen aufklären, Euer Lordschaft.«
»Ach wirklich?«, gab Lord Waringham zurück. »Und doch liegt es dem Lord Chancellor so auf der Seele, dass es nicht bis morgen früh warten kann?«
Cromwell schmunzelte wieder, und Nick spürte einen eisigen Schauer seinen Rücken hinabrieseln.
»Nun, offenbar ist in London eine Ketzerschrift von diesem Simon Fish gedruckt worden, die ein Vorwort aus Eurer Feder enthält«, erklärte Cromwell. »Soweit ich informiert bin, ist es das, was Seine Eminenz mit Euch zu erörtern wünscht.«
Nick sah seinen Vater an. Der stand mit völlig ausdruckloser Miene da, still wie ein Baum. »Ich habe kein solches Vorwort verfasst, Master Cromwell.«
»Wie ich sagte. Alles wird sich aufklären. Wäret Ihr dann so gut, Mylord?« Er machte eine einladende Geste Richtung Tür.
»Wartet draußen. Ich gebe Euch mein Wort, dass ich nicht aus dem Fenster zu fliehen gedenke. Aber Ihr werdet mir gewiss zubilligen, ein paar Vorkehrungen für meine … Abwesenheit zu treffen.«
Thomas Cromwell nickte bereitwillig, verneigte sich vor den Damen und winkte seinen beiden Finstermännern, ihm nach draußen zu folgen.
Kaum hatte die Tür sich geschlossen, schlug Sumpfhexe die Hände vors Gesicht und fing an zu heulen. »Hab ich es dir nicht immer gesagt?«, kam es dumpf zwischen den Fingern hervor. »Hab ich das nicht?«
Jasper trat zu ihr, nahm ihre Hände und zog seine Gemahlin auf die Füße. »Schsch.« Er schloss sie in die Arme. Es sah ein wenig linkisch aus. Er schien nicht viel Übung darin zu haben. »Hab keine Furcht, Yolanda. Alles wird gut, du wirst sehen.«
Sie schlang die Arme um seinen Hals, aber er befreite sich behutsam, küsste Raymond und Louise auf die Stirn, dann Laura, die stumm und bleich dastand und ihn reglos anstarrte, während ihr Tränen über die Wangen liefen.
Philipp legte ihr einen Arm um die Schultern und sagte zu Jasper: »Ich reite gleich morgen früh nach London und sehe, was ich machen kann.«
Jasper bedankte sich. Es klang hölzern, als danke er für ein Geschenk, das sein Interesse nicht wecken konnte. Dann wandte er sich an seinen Ältesten und legte ihm
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