Der dunkle Thron
Schicksal der Schwestern von Wetherby.« Es war keine Frage.
»Ja.« Nick hob die Linke und strich ihr eine Haarsträhne von der Wange. »Ich hoffe, du kannst mir vergeben. Ich … konnte einfach nicht aufhören, an dich zu denken, und darum wollte ich wissen, wer du bist, und habe ein paar diskrete Erkundigungen eingezogen.«
Sie lagen auf der Seite und einander zugewandt, so nah, dass sie den Atem des anderen auf dem Gesicht spürten.
»Es gibt nichts zu vergeben«, erwiderte Janis. »Aber was immer du erfahren haben magst, die Wahrheit war es nicht, denn die kenne nur ich.«
Er nickte und wartete.
»Es war meine Gier nach Büchern, die meine Unschuld gerettet hat, ob du es glaubst oder nicht«, begann Janis schließlich. »Ich war nicht im Gutshaus, als Edmund Howard und seine Bestien es überfielen, sondern in der Kapelle. Ich wollte dort eine Kerze stibitzen, um weiterlesen zu können, sobald die Schwestern eingeschlafen waren. Ich hörte die Reiter, dann den Tumult. Das Feuer. Es flackerte vor den Fenstern der Kapelle.«
Nick nahm ihre Hand, legte sie auf seine Brust und bedeckte sie mit seiner Linken.
Sie sahen sich unverwandt in die Augen, als Janis fortfuhr: »Ich bekam Angst. Ich wusste, dass irgendetwas Grauenvolles im Gange war. Seit wir aus unserem Kloster vertrieben worden waren, fühlten wir uns schutzlos. Wir … haben versucht, auf Lady Katherine kleinem Gut so weiterzuleben wie zuvor, aber im Grunde haben wir alle gewusst, dass es gestohlene Zeit war. Dass es das Leben, welches wir gewählt hatten, nicht mehr geben konnte. Ich habe mich unter dem Altar versteckt. Das Altartuch hing fast bis zum Boden und bot mir einigermaßen Schutz vor Entdeckung. Aber ich habe alles gehört, was mit meinen Schwestern passierte. Alles. Ich habe versucht, mir die Ohren zuzuhalten, aber es half nichts. Ich habe ihre Schreie trotzdem gehört. Und ihr Blut gerochen. Durch den Spalt zwischen Altartuch und -stufen sah ich einen kleinen Ausschnitt des Fußbodens, und auf einmal lag Jenny Ormond da. Sie war noch so jung. Dreizehn vielleicht. Ein Mann stand breitbeinig neben ihr und hielt sie an den Haaren gepackt. Er muss sie … an den Haaren dorthin geschleift haben. Sie war nackt und ganz blutig zwischen den Beinen und rührte sich nicht mehr. Aber das hat ihn nicht gestört. Er hat sich auf sie fallen lassen … einfach auf sie fallen lassen mit seinem ganzen Gewicht und …« Ihre langsame Sprechweise und der sachliche Ton drohten sie im Stich zu lassen.
Nick strich mit der Hand über die ihre, die immer noch auf seiner Brust lag. »Lass dir Zeit.«
Janis fand die Fassung wieder. »Ich bin aus meinem Versteck gekrochen. Glaub ja nicht, das wäre mutig gewesen. Es war keine bewusste Entscheidung, der armen Jenny zur Hilfe zu kommen. Ich konnte nicht mehr denken. Mein Körper hat einfach gehandelt, glaube ich, weil er wusste, dass ich den Verstand verlieren würde, wenn ich länger tatenlos dort hocken blieb. Also bin ich aus meinem Versteck gekommen. Ich stand hinter diesem Mann, der meine bewusstlose Mitschwester schändete, und hinten in seinem Gürtel steckte ein Messer. Ich habe es genommen, ihn bei den Haaren gepackt und ihm die Kehle durchgeschnitten. Ich sehe noch genau meine Hände, wie sie es tun. Sie haben nicht einmal gezittert. Er fiel röchelnd auf die Seite, während er verblutete, und sah zu mir hoch. Auch er war noch ganz jung. Und die Furcht in seinen Augen war schlimmer als meine. Im Chaos der Hölle, zu der die Kapelle geworden war, merkte niemand, dass er dalag und starb. Niemand außer ihrem Anführer. Edmund Howard. Er kam mit erhobenen Fäusten auf mich zu. Sein Kopf war ganz rot, das Haar zerzaust, und das Gemächt hing ihm aus den aufgeschnürten Hosen. Er sah aus wie der Teufel selbst. Und er war betrunken. Als er bei mir ankam, ließ ich mich fallen und wollte ihm im Sturz sein bestes Stück abschneiden. Ich … ich war genauso von Sinnen wie er, glaube ich. Aber ich verfehlte mein Ziel und schlitzte ihm nur das Bein auf. Er stürzte, schlug mit dem Kopf auf die Kante des Altars und blieb liegen. Ich habe Jenny unter den Achseln gepackt und in mein Versteck gezerrt. Als es still wurde und die Kapelle zu brennen begann, habe ich sie in die Krypta hinuntergebracht. Und ich habe die Tür zugeschlagen und verriegelt. Ich bin nicht wieder hinaufgegangen, um zu sehen, ob ich meine übrigen Schwestern noch retten konnte. Meine Furcht war zu groß. Darum sind sie alle verbrannt. Alle
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