Der dunkle Thron
warum in aller Welt sollte ich das tun?«, erkundigte er sich scheinbar höflich.
»Weil du deinen Bruder auf dem Gewissen hast, du … du Ungeheuer!«
»Mutter …«, protestierte Brechnuss, und es klang halb resigniert, halb erschrocken.
Nick betrachtete seine Stiefschwester einen Moment und rätselte, was wohl in ihr vorgehen mochte. Wie seit jeher fand er es unmöglich, sich in sie hineinzuversetzen. Also wandte er sich wieder an Yolanda. »Seid Ihr sicher, dass Ihr diesen Pfad einschlagen wollt, Madam? Nicht ich war es, der Raymond an den Hof geschickt hat, in diesen Sumpf aus Lügen und Eitelkeiten. Oder der ihm die Tür zum Schlafgemach der Königin aufgeschlossen hat«, fügte er hinzu, und für einen Lidschlag glitt sein Blick wieder zu Louise.
Lady Yolanda fing an zu weinen, sank auf einen der brokatgepolsterten Sessel, verschränkte die Arme auf dem Tisch und bettete den Kopf darauf. »Mein Sohn … mein geliebtes Kind …«
Nick verabscheute ihr Geheul, aber er hörte den Schmerz in ihrer Stimme sehr wohl. Reglos stand er ein paar Schritte von ihr entfernt und sah auf sie hinab.
Louise trat zu ihrer Mutter, legte ihr die Hände auf die Schultern und sagte leise. »Schsch. Du musst dich beruhigen. Es war so wenig Nicholas’ Schuld wie deine oder meine …«
Sumpfhexe fuhr auf und schüttelte die tröstenden Hände ab. »Oh doch, es ist seine Schuld! Ich habe Raymond zu ihm geschickt, damit er ihm hilft, und sieh dir an, wie famos er das getan hat …«
»Madam, ich denke, ich habe genug gehört«, unterbrach Nick. »Wie ich Euch bereits bei Eurer Abreise sagte, seid Ihr in Waringham nicht länger willkommen. Ich muss Euch daher bitten …«
»Ich will sein Grab sehen!«, fiel sie ihm ins Wort. Sie keifte schon wieder, aber immer noch rannen Tränen über ihre Wangen.
Die Tränen machten das Gesicht nicht hübscher, stellte Nick mit distanziertem Abscheu fest. Er hat kein Grab , lag ihm auf der Zunge. Ihre Anschuldigungen hatten ihn getroffen, und es drängte ihn, zurückzuschlagen, ihr so weh zu tun, wie er konnte. Aber er beherrschte sich. Bei allem Zorn war er doch in der Lage, anzuerkennen, dass sie eine Mutter war, die ihr Kind verloren hatte. Womöglich war ihr Schmerz größer als seiner. »Er liegt auf der Tain-Lichtung im Wald«, sagte er. »Es steht Euch frei, hinzugehen, ehe Ihr aufbrecht.«
»Wo soll das sein?« Sie zog ein Taschentuch aus dem Ärmel und wischte sich das Gesicht ab. »Ich weiß von keiner Lichtung.« Yolanda erhob sich, und sie musste sich einen Moment auf die Tischkante stützen. »Du warst ein unausstehliches Kind, Nicholas. Rebellisch, hochmütig, selbstsüchtig und verschlagen. Und du hast dich nicht geändert. Verflucht sollst du sein!«
Damit wandte sie sich ab und trat durch die Tür, die Madog ihr höflich aufhielt.
Die Stille, die sie zurückließ, war so unheilvoll und aufgeladen wie die Sommerluft vor einem Gewitter.
Erwartungsgemäß war es Jerome Dudley, der sie brach. »Ich hoffe, du kannst Nachsicht üben, Nick. Sie ist …«
»Schon gut«, unterbrach Nick.
»Sie hat nicht wirklich gemeint, was sie sagte«, versuchte Dudley es noch einmal.
»O doch. Das hat sie«, widersprach Nick und zuckte die Schultern. »Aber ich hatte nichts anderes erwartet.«
»Nun, wie dem auch sei, Louise und ich sehen die Dinge anders.« Erwartungsvoll wandte er sich an seine Frau. »Du wolltest ihm etwas sagen, oder?«
Sie nickte und trat zögernd einen Schritt näher. »Ich weiß, dass du Cranmer um meinetwillen belogen hast, Nicholas. Vermutlich hast du mein Leben gerettet. Ich … wollte dir danken.«
Verblüfft starrte Nick sie an. Wahrscheinlich konnte niemand außer ihm wirklich ermessen, was diese Worte seine Stiefschwester gekostet hatten. Er kam nicht umhin, ihr Hochachtung zu zollen. »So wie du Anne Boleyn in den Arm gefallen bist, als sie mich erschießen wollte«, hörte er sich antworten. »Ich schätze, ich war dir etwas schuldig.«
Sie kniff die Augen zu und rang einen Moment um Haltung. Jerome trat zu ihr und legte ihr einen Arm um die Taille. Louise sagte zu Nick: »Ich habe Raymond und Katherine bei ihren Rendezvous geholfen, um sie zu schützen. Um uns alle zu schützen, genauer gesagt. Er … er war so leichtsinnig und waghalsig in seiner Schwärmerei, dass er zu jedem verrückten Risiko bereit war. Ich hatte solche Angst um ihn. Also habe ich ihnen geholfen, weil ich dachte, so könnte ich ihn retten. Nur hat es nichts genützt. Weil
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