Der dunkle Thron
war.
»Anscheinend haben die Howard die ganze Zeit gewusst, was sich damals auf dem Gut der Äbtissin von Wetherby abgespielt hat«, hatte Jerome erklärt. »Edmund kam ja noch lebendig nach Hause, und wie es aussieht, hat Norfolk die Wahrheit aus ihm herausgeholt, ehe der Hurensohn starb. Norfolk hat auch die Namen der beiden überlebenden Schwestern in Erfahrung gebracht, aber natürlich hat er nie etwas gegen sie unternommen, weil er sich für seinen Bruder schämte.«
»Doch Sumpfhexe kannte die Einzelheiten und die Namen auch und hatte weniger Skrupel«, mutmaßte Nick bitter.
Jerome nickte unglücklich. »Und als ihr klar wurde, wer die Nonne in deinem Haus war, fing sie an zu überlegen, wie sie dir mit diesem Wissen schaden könnte. Ich weiß nicht, was auf einmal in sie gefahren ist, Nick. Sie wird alt. Sie ist … verbittert. Und seit sie in Waringham war, ist sie förmlich besessen davon, dir das Leben zur Hölle zu machen. Louise …«
»Ja? Was ist mit Louise?«, fragte Nick und wappnete sich. Er hatte nie daran geglaubt, der Waffenstillstand, den er mit seiner Stiefschwester an Raymonds Eselsgrab geschlossen hatte, könne von Bestand sein.
Doch Jeromes Antwort überraschte ihn. »Louise hat mich zu dir geschickt, um dich zu warnen. Sie hat gehört, wie Lady Yolanda zu Norfolk sagte, Schwester Janis Finley habe ihren Bruder auf dem Gewissen und verkrieche sich nun in Waringham und sei deine Geliebte …« Er unterbrach sich kurz und fragte unsicher: » Ist sie deine Geliebte?«
Nick sah ihn an und antwortete nicht.
»Was spielt das für eine Rolle?«, warf Madog ungeduldig ein.
»Oh, es spielt eine Rolle«, versicherte Jerome grimmig. »Wenn Nick eine Nonne zur Geliebten hat, ist er ein Verbrecher.«
»Und da es ein Verstoß gegen kirchliches Recht ist, hätte Bischof Bonner eine Handhabe, ihn anzuklagen«, fügte John hinzu, der bislang schweigend zugehört hatte.
Jerome nickte. »Und ich erzähle dir sicher nichts Neues, wenn ich sage, dass Bischof Bonner dir zürnt, Nick, weil du nach der Hinrichtung dieses verrückten Knaben …«
»Richard Mekins«, soufflierte John.
»Genau. Weil du danach öffentlich Front gegen Bonner gemacht hast.«
»Aber woher wollen sie wissen, ob Janis Nicks Geliebte ist?«, wandte Madog ein.
Nick stand auf und griff nach seinem Mantel. »Sie brauchen sie nur zu fragen, Madog. Wenn sie lange und hartnäckig genug fragen, bekommen sie von jedem die Antwort, die sie hören wollen.«
Ihm war schlecht.
»Wo willst du denn hin mitten in der Nacht?«
»Zu Chapuys und zu meinem Schwager Durham. Einer von beiden wird in der Lage sein, vor Tagesanbruch herauszufinden, in welchem Gefängnis sie ist.«
Da Janis eine Gefangene des Bischofs war, hatte man sie indes nicht in eines der städtischen Gefängnisse gesperrt, sondern in das der Diözesanverwaltung an der Old Dean’s Lane, unweit der Kathedrale von St. Paul. Das bischöfliche Gefängnis erinnerte sie ein wenig an die Stallungen in Fernbrook und in Waringham: Nicht Pferdeboxen, sondern einräumige Hütten mit vergitterten Fenstern standen Schulter an Schulter zu beiden Seiten einer Mittelgasse, wo sich Schlamm und Schnee zu einem von vielen Fußstapfen durchzogenen braun-weißen Brei vermischt hatten, der im Laufe der Nacht steinhart gefroren war.
Die Zelle, in die man sie gesperrt hatte, war vielleicht vier mal vier Schritte groß und beherbergte bereits fünf verängstigte und verfrorene Frauen, die dem Neuzugang mit unterschiedlichen Abstufungen von Neugier und Apathie entgegenblickten. Sie hockten auf schmuddeligem Stroh entlang der Wände, und nur zwei von ihnen nannten eine löchrige Wolldecke ihr Eigen.
Simon Neville stand draußen und betrachtete durch die Gitterstäbe das Elend im Innern mit versteinerter Miene.
Janis kam ans unverglaste Fenster. »Hab Dank, Simon.«
Er winkte ab. »Ich werde tun, was ich kann«, versprach er.
Sie rang sich ein Lächeln ab. Sie wusste so gut wie er, dass es nichts gab, was er für sie tun konnte. Allein Gott konnte ihr jetzt noch helfen, und sie hatte wenig Hoffnung, dass er sich besonders große Mühe geben würde. Denn sie war eine Abtrünnige und hatte den Weg zu Gott verlassen, den sie einmal eingeschlagen hatte. »Geh«, drängte sie leise. »Geh zu Nick. Sorg dafür, dass er nichts Verrücktes tut.«
Simon Neville wandte den Blick ab, sah zum stahlgrauen Winterhimmel auf und nickte. »Ich komme wieder«, versprach er.
Janis sah ihm noch einen Moment
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