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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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römischen Kirche. Das hätte Norfolks Stunde sein können, der ja die konservative Glaubensauffassung des Königs teilte und nach Suffolks Tod gern dessen Platz als Vertrauter und Ratgeber eingenommen hätte. Doch die Reformerfraktion aus Erzbischof Cranmer, den Seymour-Brüdern und letztlich auch der Königin wusste das zu verhindern, und so kam es, dass Norfolk sich an dem ungemütlichsten Ort wiederfand, den es in England derzeit gab: im Fokus des königlichen Missfallens.
    Nick erfuhr all das nur aus den Gerüchten und aufgeschnappten Gesprächsfetzen der Wachen, denn die Bedingungen seiner Einzelhaft waren nicht gelockert worden. Im Beauchamp Tower war es wärmer und trockener als im Lions Tower. Er hatte eine Bibel und ein paar andere Bücher bekommen, doch die vollkommene Isolation von seiner Familie und allen Freunden trieb ihn allmählich in die Verzweiflung. Er hörte überhaupt nichts aus Waringham. Er erhielt keine Briefe und durfte keine schreiben. Er wusste nicht, ob er einen Sohn oder eine Tochter bekommen hatte. Er wusste nicht einmal, ob Janis und sein Kind die Geburt überlebt hatten, und er fing an, sich zu fragen, ob er verurteilt und hingerichtet werden würde, ohne es je zu erfahren.
    Er vermisste den Wolf.
    Am dritten Advent fiel der erste Schnee, und die stille weiße Welt draußen auf dem Tower Hill stand in seltsamem Kontrast zu der plötzlichen Unruhe innerhalb der alten Mauern. Nick hörte deutlich häufiger Schritte auf der Treppe als gewöhnlich und erregt debattierende Stimmen, doch er verstand nicht, was sie sagten.
    Zu der Stunde, da ihm für gewöhnlich das Nachtmahl gebracht wurde, rasselte der Schlüssel, und die Tür schwang auf, aber kein Yeoman Warder trat über die Schwelle, sondern Richard Rich.
    »Lord Waringham.«
    »Sir Richard, sieh an. Ich fing an zu befürchten, Ihr hättet mich vergessen.«
    »Vergebt mir, Mylord. Wenn man es sich zur Aufgabe gemacht hat, Ketzer und Verräter zur Strecke zu bringen, ist man in England heutzutage ein vielbeschäftigter Mann.«
    Nick lehnte sich auf seinem Scherenstuhl zurück und schlug die Beine übereinander. »Und was hofft Ihr hier zu finden? Einen Ketzer oder einen Verräter?«
    Ungebeten setzte Rich sich ihm gegenüber. »Die häretischen Schriften, die wir in Waringham sichergestellt haben, sind zwar verboten, aber ihr Besitz allein reicht nicht aus, um … Nun ja.«
    »Kopf hoch, Rich. Ich bin sicher, Euch fällt etwas anderes ein.«
    »Da bin ich auch ganz zuversichtlich«, stimmte Rich lächelnd zu und schenkte sich großzügig von Nicks Wein ein. Nick erinnerte sich, dass er den jungen Rich früher gelegentlich angetrunken in Sir Thomas’ Halle hatte umhertorkeln sehen. Auf der Jagd nach einem lukrativen Posten, den Sir Thomas ihm nie gegeben hatte, weil er ihn für unredlich und korrupt hielt. Jetzt kam Nick die Frage in den Sinn, ob Rich womöglich obendrein trunksüchtig war. Doch der ungetrübte, scharfe Blick der farblosen Augen sprach eher dagegen.
    Während Rich den Becher in einem gewaltigen Zug leerte, erklangen draußen auf der Treppe wieder eilige, schwere Schritte, und eine Stimme rief lachend: »Vielleicht sollten wir vor dem Fenster sein gevierteltes Wappen hissen …«
    Zwei oder drei stimmten in das Gelächter ein, und es klang hämisch.
    »Wenn Ihr mir schon den Wein wegtrinkt, Rich, habt wenigstens die Güte und klärt mich auf, was die Unruhe hier an einem so heiligen Sonntag zu bedeuten hat.«
    Rich zog die Brauen in die Höhe. »Ihr habt es nicht gehört?«
    »Dank des Reglements meiner Haftbedingungen höre ich überhaupt nichts. Wie Ihr zweifellos wisst.«
    »Der Duke of Norfolk und sein Sohn, der Earl of Surrey, sind verhaftet worden, Mylord. Erschütternd, nicht wahr? Aber nach allem, was wir wissen, sind auch diese beiden Verräter.«
    »Norfolk?« Nick musste lachen.
    »Ich weiß wirklich nicht, was Euch daran so erheitert«, bemerkte Rich, und es klang drohend.
    »Beunruhigt Euch nicht«, entgegnete Nick tröstend. »Ich hatte seit jeher eine Schwäche für das Groteske. Weswegen habt Ihr Norfolk und Surrey verhaftet?«
    »Weil sie ein Mordkomplott gegen Mitglieder des Kronrats geschmiedet haben, den Prinzen entführen und vermutlich ermorden wollten, um Surrey dann auf den Thron zu setzen. Er hat sich vor sechs Wochen mit einem neuen Wappen gezeigt, das geviertelt war und das Kreuz und die Friedenstauben des königlichen Wappens von Edward dem Bekenner zeigte. Das sagt doch wohl alles,

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