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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Rechten die Rampe heruntergeschritten, das helle Fell mit dunklen Flecken betupft. Nick war sich nicht sicher, aber er glaubte, es war ein Parder. Oder Leopard, wie manche Gelehrte sagten. Dann hörte er auf der anderen Seite ein Hecheln und das Klicken von Krallen auf Stein. Nick wandte den Kopf und fand sich Auge in Auge mit einem weißen Wolf.
    »Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und die Parder bei den Böcken liegen«, murmelte er vor sich hin. »Jesaja, Kapitel elf, Vers fünf«, erklärte er dem Wolf. »Oder sechs.«
    Der Wolf stand stockstill und sah ihm unverwandt in die Augen. Die seinen hatten bernsteinfarbene Iris, umgeben von einem schwarzen Kreis. Nick wusste aus lebenslanger Erfahrung im Umgang mit Pferden, dass es sentimentaler Unsinn war, Tieren menschliche Gefühle anzudichten, aber in den Augen des Wolfs las er Schmerz und Überdruss. »Arme Kreatur. Wo magst du wohl herkommen? Aus irgendwelchen schneebedeckten Bergen, nehme ich an. Vermisst du sie? Und deine Artgenossen? Fragst du dich, warum ausgerechnet du eingefangen und hier eingesperrt wurdest?«
    Er bekam keine Antwort. Anders als bei Pferden konnte er zu dem Wolf keine Verbindung aufnehmen und erspüren, was in ihm vorging. Mit einem kurzen Winseln brach das Tier den Blickkontakt, wandte ihm den Rücken zu und legte sich ins Stroh.
    Der Parder auf der anderen Seite hingegen lief ruhelos an der Vorderfront seines Käfigs auf und ab, und Nick sollte im Laufe der nächsten Tage lernen, dass er das fast immer tat, vor allem nachts. Nick erinnerte sich an das eine Mal, da er seinen Cousin Edmund gesehen hatte, der zur See fuhr. Nick war ungefähr zehn gewesen und hatte den wettergegerbten, bärtigen Hünen mit einer Mischung aus Furcht und Bewunderung bestaunt. Und er hatte nie vergessen, was Edmund ihnen von Afrika erzählt hatte, von der roten Erde, den weiten Steppen, dem einzigartigen Licht und von den Tieren. Nick und sein Vater waren nachher übereingekommen, dass gewiss die Hälfte seiner Geschichten Seemannsgarn war – auf keinen Fall konnten sie glauben, dass es schwarz-weiß gestreifte Pferde geben sollte –, aber sie hatten wenigstens eine Ahnung von der Schönheit und der Weite des Landes bekommen, wo Löwe und Parder auf der Pirsch durchs hohe, trockene Gras strichen. Er wusste nicht, ob der Parder sich daran erinnern konnte. Wenn ja, war es jedenfalls kein Wunder, dass er den Verstand verloren hatte.
    Bei Einbruch der Dämmerung kamen zwei Knechte mit einem Handkarren, um die Tiere zu füttern. Sie hielten vor dem Käfig des Parders, der leichtfüßig die Rampe hinauflief. Einer der Wärter betätigte den Hebel für die Holzklappe, und Nick sah fasziniert, dass die Luke zur oberen Ebene des Käfigs sich schloss, während der Eingang sich öffnete, sodass die Wärter gefahrlos den Käfig betreten konnten. Der eine füllte den gemauerten Wassertrog neben der Rampe, der andere spießte mit einer Mistgabel einen Batzen rohes Fleisch auf und warf ihn ins Stroh. Dann verließen sie den Käfig und schlossen die Klappe. Ohne Nick eines Blickes zu würdigen, brachten sie auch dem Wolf seine Ration, der ebenso nach oben gelaufen war wie der Parder, weil er vermutlich gelernt hatte, dass er nur gefüttert wurde, wenn er sich an die Regeln hielt.
    Dann fuhr knirschend die Klappe zu Nicks Käfig hoch. »Wohl bekomm’s, Mylord«, wünschte einer der jungen Burschen, und ein roher Fleischbatzen landete klatschend vor Nicks Füßen. »Mit den besten Grüßen von Constable Gage.«
    Nick sah unbewegt auf seine Ration hinab. »Und bekomme ich Wasser?«
    Der blonde Knecht mit dem flegelhaften Grinsen schüttelte den Kopf. »Wir haben Anweisung, nicht zu Euch reinzugehen. Ihr seid gefährlich, meint der Constable, weil Ihr ihm die Fresse poliert habt.«
    »Ihr seid richtige Helden, was?«, versetzte Nick. »Zwei kräftige Kerle gegen einen angeketteten Mann, und ihr wagt euch nicht hier rein?«
    Das Grinsen verschwand wie weggewischt. »Da ist noch Wasser im Trog«, erklärte der Junge mürrisch. »Bisschen abgestanden vielleicht, aber gut genug für Euch, schätze ich.«
    Nick rührte das Wasser nicht an, denn er wusste, wenn er hier krank würde, waren seine Überlebenschancen gering. Er war auch noch nicht hungrig genug, um es mit dem rohen Fleisch zu versuchen, sondern drückte seinen Batzen durch die Gitterabtrennung zum Nachbarkäfig. Der Wolf verschlang ihn mit Hingabe. Am nächsten Abend spendete Nick seine Portion dem Parder, sah

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