Der dunkle Thron
konnte. Im Vertrauen auf Gott und seine Verheißung. Aber nicht schweigend.
Kaum hatten sie den kopflosen Leichnam in den Sarg gelegt und den Kopf weggetragen, um ihn auf der London Bridge aufzupflanzen, als die Tür zu Nicks Quartier sich öffnete und Mary hereinkam.
Nick trat ihr lächelnd entgegen und nahm ihre Hände. »Sei so gut und sorg dafür, dass meine Schwester nicht meinen Kopf stiehlt, so wie Lady Meg es mit dem ihres Vaters getan hat. Anders als bei Sir Thomas, wäre es vermutlich das einzige, weswegen man mich in Erinnerung behalten würde, und ich möchte nicht als makabre Anekdote in die Annalen eingehen.«
»Ich werde es ihr sagen«, versprach Mary. Ihre Augen strahlten verräterisch, aber sie erwiderte sein Lächeln und zwang die Tränen zurück.
Nick war ihr dankbar. Auf Marys Haltung war immer Verlass gewesen. Er führte sie zum Tisch und rückte ihr einen Stuhl zurecht. »Wie hast du das fertiggebracht? Der Constable hat gesagt, das Besuchsverbot habe bis zum Schluss Bestand.«
»Die Königin hat dafür gesorgt«, erklärte Mary. »Sie hätte gern mehr getan, aber das war alles, was sie erreichen konnte.«
Er nickte. »Weißt du irgendetwas über meine Familie? Über Janis und die Kinder?«
»Lady Janis ist in Waringham. Ihr habt einen kleinen Sohn. Sie hat ihn Isaac genannt, weil der Name in ihrer Familie gebräuchlich war und weil es bedeutet ›der, auf den Gott herablächelt‹. Ein Name als Schimmer der Hoffnung in der Dunkelheit, sagte sie.«
»Sei so gut und sag ihr …« Er brach ab. Es war schwierig, das, was er Janis zu sagen hatte, einem Dritten anzuvertrauen.
Doch Mary schüttelte den Kopf. »Sag es ihr selbst. Sie wird kommen, Nick. Die Königin hat auch für sie die Erlaubnis erwirkt, sich von dir verabschieden zu dürfen. Und für Francis ebenso.«
Nick lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte lose die Faust ans Kinn. Er dachte nach.
»Du kannst es ihm nicht verwehren«, drängte Mary behutsam. »Er ist dein Sohn. Er hat ein Recht darauf.«
Nick seufzte tief und nickte. »Ich weiß.« Was er nicht wusste, war, wie er das aushalten sollte. Aber irgendwie würde er das, nahm er an. »Seine Mutter wird nicht kommen, schätze ich?«
»Nein. Aber ich habe einen Brief von ihr hereingeschmuggelt. In meinem Mieder, ob du’s glaubst oder nicht. Also, wenn du ihn lesen willst, sei so gut und dreh dich um.«
Nick stand auf und kehrte ihr folgsam den Rücken. Es raschelte ein paar Augenblicke, dann sagte Mary: »Hier ist er.«
Nick blickte einen Moment auf den gefalteten Bogen hinab. Er war mit einem Wachstropfen ohne Siegeldruck verschlossen. »Ich … lese ihn später.«
»Tu’s lieber jetzt«, riet sie. »Falls du ihr etwas ausrichten lassen willst, bin ich vermutlich deine letzte Gelegenheit, das zu tun.«
Ihr kühler Pragmatismus verblüffte ihn, aber er fand ihn wohltuend. So hatte er Mary früher oft bei ihren guten Werken erlebt, wenn sie die Kranken und die Sterbenden besuchte. In Extremsituationen – immer dann, wenn allein Gott noch helfen konnte – wurde sie die Ruhe selbst.
›Ich werde nicht zu deiner Hinrichtung kommen‹, hatte Polly in ihrer etwas ungelenken Handschrift geschrieben. ›Ich habe schon so lange um dich getrauert und so oft um dich geweint, dass ich meine Pflicht und Schuldigkeit getan habe. Aber ich will nicht mit Groll an dich zurückdenken. Du konntest mir nie geben, was du mir schuldig warst, doch du sollst wissen, dass ich es nun auch nicht mehr brauche. Sobald wir die Nachricht erhalten, dass du diese Welt verlassen hast, werde ich Lord Willoughby heiraten, den Treasurer des Prinzen, der ein guter Christ ist und mir den wahren Weg zu Gott gezeigt hat und dessen Kind ich trage. Möge Gott dich segnen und dich rechtzeitig von deinem papistischen Aberglauben erlösen.‹
»Polly ist unter die Reformer gegangen«, bemerkte er ungläubig.
»Der ganze Haushalt meines Bruders ist ein lutherisches Wespennest«, erwiderte Mary verächtlich. »Ich nehme an, es ist der Treasurer, von dem sie spricht? Du müsstest ihn hören, Nick. Ein fanatischer Ketzer.«
»Nun, meine zukünftige Witwe ist ihm sehr zugetan«, gab er gallig zurück. »Sie ist schwanger und kann es daher kaum erwarten, dass mein Kopf endlich rollt.« Er unterbrach sich kurz und fügte dann hinzu: »Na ja. Ich sollte mich nicht beschweren. Ich habe sie immer schauderhaft behandelt.«
»Das hast du nicht«, widersprach Mary hitzig. »Du hast sie so gut behandelt, wie
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