Der dunkle Thron
König seinen Untertanen entfremden wollen, die ihnen einflüstern, sein Reformwerk sei Gott nicht gefällig. Kräfte, die darauf hoffen, dass eines Tages ein Tudor den Thron besteigen wird, der den papistischen Aberglauben zurück ins Land bringt.«
Nick schüttelte den Kopf. »Ihr irrt Euch, Willoughby. Es gibt keine papistische Verschwörung unter Lady Marys Führung. Es ist nicht ihre Schuld, dass die Engländer sie so verehren. Es ist auch nicht ihre Schuld, dass der Kronrat – oder sollte ich Northumberland sagen? – im Namen des Königs Dinge getan hat, die den Engländern nicht gefallen. Lady Mary ist keine Reformerin, aber sie ist eine treue Untertanin ihres Bruders.«
»Das ist ein Widerspruch in sich«, konterte Willoughby mit unterdrückter Heftigkeit. »Denn die Vollendung der Reform der englischen Kirche ist das wichtigste Anliegen des Königs. Und wenn es so kommen sollte, dass er diese Welt bald verlassen muss, dann wird diese Reform sein Vermächtnis sein. Darum ist es Verrat, sie in Zweifel zu ziehen.«
»Bitte, mein Lieber …«, warf Polly ein und legte ihrem Gemahl beschwichtigend die Hand auf den Arm.
Nick verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den königlichen Unterkämmerer einen Augenblick. Dann sagte er frostig: »Heute ist der Hochzeitstag meines Sohnes, Willoughby, darum würde ich jetzt gern aufhören, über Politik zu streiten, und meine hinreißende Schwiegertochter zum Festmahl führen. Wenn Ihr indes darauf besteht, Lady Mary des Verrats zu bezichtigen, dann …«
»Vater, wo bleibt ihr denn?«, fiel Eleanor ihm ins Wort, die plötzlich wie aus dem Boden gestampft neben ihm stand. Das war eine Gabe versierter Höflinge, und ihm war schon gelegentlich aufgefallen, dass seine Tochter sie perfekt beherrschte. »Wenn du nicht bald kommst, wird die arme Hochzeitsgesellschaft in der Sonne verdorren.«
Nick reichte ihr lächelnd den Arm. »Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen.«
Nach einem fast unmerklichen Zögern hakte sie sich bei ihm ein, und sie schlenderten zum weinberankten Bergfried hinüber. Als sie außer Hörweite waren, raunte Eleanor: »Streite nicht mit Willoughby. Northumberland hört auf ihn.«
Nick zog eine Braue in die Höhe. »Verstehe. Meine Tochter betätigt sich neuerdings als Drachentöter und beschützt ihren papistischen Vater vor den mächtigen protestantischen Hofschranzen«, spöttelte er. In Wahrheit war er gerührt, dass sie um ihn besorgt schien, denn ihr Verhältnis war in den letzten Jahren nicht immer ungetrübt gewesen.
»Wie üblich brauchst du dringend jemanden, der dich vor deiner losen Zunge beschützt«, erwiderte sie kritisch. »Und wir wollen heute kein Blutbad in Waringham, oder? Komm schon, sei friedlich. Tu’s für Francis.«
Er nickte, und um das Thema zu wechseln, fragte er: »Was ist denn eigentlich mit dir, Lady Eleanor? Wann darf ich dich endlich zum Traualtar führen? Du bist zwei Jahre älter als dein Bruder – es wird also höchste Zeit.«
»Ach herrje. Reicht es nicht, dass du der armen Lady Mary ständig damit in den Ohren liegst?«
»Seit zwanzig Jahren erfolglos«, merkte er an. »Ich hoffe, du willst in der Hinsicht nicht in ihre Fußstapfen treten.«
»Ich will überhaupt nicht in ihre Fußstapfen treten«, stellte seine Tochter klar. »Ein Leben zwischen Rosenkranz und Beichtstuhl? Nein, vielen Dank.«
Nick sparte sich seinen Widerspruch. Er wusste, Eleanor war nicht besonders gut auf »seine« Prinzessin zu sprechen, weil Mary und ihre jüngere Schwester Elizabeth sich nicht immer gut verstanden hatten in den letzten Jahren. Während Mary sich vom Hofleben zurückzog, sich tatsächlich immer weiter in Frömmigkeit und ihre Studien vertiefte und allmählich ein klein wenig altjüngferlich wurde, wie sogar Nick zugeben musste, war Elizabeth, nachdem sie die Trauer um ihren Vater überwunden hatte, zum umschwärmten Mittelpunkt eines jeden Hoffestes geworden. Sie war ein hübsches junges Ding, lebenslustig und voller Esprit. Die Galane bei Hofe hatten sie umschwirrt wie die Motten die Kerzenflamme, bis die damals noch nicht einmal Sechzehnjährige in eine Backfischschwärmerei für Thomas Seymour verfallen war. Der Onkel des kleinen Königs hatte seinem Ruf als verantwortungsloser Schürzenjäger alle Ehre gemacht, und um ein Haar hätte es einen Skandal gegeben. Doch die Königinwitwe, Katherine Parr, hatte ihren Thomas an die Leine genommen und die unglücklich verliebte Lady Elizabeth aufs Land
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