Der dunkle Thron
doch ratsam, Ihr würdet außer Landes fliehen, Hoheit«, schlug der Jesuit behutsam vor.
Nick hielt das für den falschen Weg, doch er sagte: »Wenn wir sofort aufbrechen, könnten wir vor Einbruch der Dunkelheit an der Küste sein. In Maldon, zum Beispiel.«
Mary hob die Hand. »Das kommt nicht infrage.«
»Es ist das, was der Kaiser Euch für einen Fall wie diesen angeraten hat«, erinnerte ihr Beichtvater sie.
»Mein kaiserlicher Cousin Karl«, knurrte Mary. »Seit jeher beliebt es ihm, mir Vorschriften zu machen, wann ich den Kanal überqueren soll und wann nicht. Aber es sind immer seine Interessen, die er dabei im Sinn hat, niemals meine. Wenn ich jetzt das Land verlasse, verzichte ich auf meine Krone. Damit ginge mein Anspruch auf meine arme Schwester Elizabeth über, und Northumberland würde sie aus dem Wege räumen, um seiner Schwiegertochter den Thron zu sichern. Und obendrein schulde ich es meiner Mutter, dass ich um diese Krone kämpfe, Gentlemen.«
Sie sah sie herausfordernd an, aber Nick gab achselzuckend zurück: »Bei mir rennt Ihr nichts als offene Türen ein. Wir müssen indes darauf gefasst sein, dass wir im wahrsten Sinne um Eure Krone werden kämpfen müssen.«
»Mit … Waffengewalt, meint Ihr«, stellte sie zögernd klar.
Er nickte.
»Und ich dachte, Ihr hieltet Krieg für unmoralisch«, spöttelte Mary eine Spur nervös.
»Ihr wisst besser als ich, was Erasmus gesagt hat: Das gilt nicht, wenn es der Wille des Volkes ist.«
»Und Ihr glaubt, das sei hier der Fall?«
»Ja, Madam.«
»Und was, wenn Ihr Euch irrt?«
Dann werde ich draufgehen und mich mit Fragen der Moral nicht mehr herumplagen müssen, dachte er. Jedenfalls nicht in dieser Welt. Was er antwortete, war: »Wie wär’s, wenn wir unterwegs darüber nachdenken?«
»Unterwegs wohin?«, fragte Pater Miguel.
»Ganz gleich. Aber wir müssen von hier verschwinden, und zwar schnell. Halb England weiß, wo Ihr Euch aufhaltet, Hoheit. Northumberland weiß es. Ihr befindet Euch hier mitten auf dem Präsentierteller, und das ist nicht ratsam. Ihr müsst fürs Erste unsichtbar werden.«
Mary streifte ihre Unschlüssigkeit ab wie einen zu warmen Mantel. »Wir reiten nach Kenninghall.« Und dem Pater, der sich in England noch nicht besonders gut auskannte, erklärte sie: »Es ist eins meiner Güter und liegt in Norfolk, wo es viel Unterstützung für den wahren Glauben gibt.«
»Und Norfolk liegt in East Anglia«, führte Nick aus. »Ein endloses Sumpfland. Nirgendwo kann man besser untertauchen als dort.«
»Ich hoffe, das war nicht allzu wörtlich gemeint, Mylord«, entgegnete der Jesuit trocken.
»Habe ich Zeit zu packen?«, fragte Mary.
»Aber nur das Nötigste«, schärfte Nick ihr ein. »Ich gehe und sorge dafür, dass die Pferde gesattelt werden.«
London, Juli 1553
Francis und Millicent waren bis Tickham geritten, einem kleinen Städtchen an der Themse, wo die Durham große Lagerstätten und Kais unterhielten und Francis’ Cousin Cecil – Philipps und Lauras sechzehnjähriger Sohn – derzeit in der Verbannung lebte, wie er es ausdrückte, um zu lernen, wie man möglichst gewinnbringend Schiffe belud.
Sie hatten dem armen Exilanten eine Stunde Gesellschaft geleistet und dann ein Boot bestiegen, das sie nach London brachte. Die beiden Ruderer mussten sich gewaltig abmühen, gegen die Strömung anzukommen, doch der Weg war nicht weit.
Als der Tower in Sicht kam, wies Francis ans Nordufer. »An der Tower Wharf könnt ihr uns absetzen.«
Die Ruderer steuerten den Kai an, und der linke murmelte: »Lieber Ihr als ich, Mylord.«
Francis lachte. »Wir machen nur einen Besuch, nichts weiter.«
In Wahrheit hatte er diese Reise nach London vor sich hergeschoben, weil ihm ein wenig vor dem Tower graute. Er wusste, dass der alte Duke of Norfolk in demselben Quartier eingesperrt war wie sein Vater damals, und darum zog es ihn nicht gerade mit Macht dorthin. Aber Millicent hatte sich so gewünscht, ihren Großvater zu besuchen und ihm für sein Einverständnis zu ihrer Hochzeit zu danken, dass er es ihr nicht abschlagen wollte.
Als das Boot festgemacht hatte, sprang er an Land und streckte seiner Frau eine hilfreiche Hand entgegen. »Vorsicht. Heiß genug für ein Bad in der Themse mag es sein, aber vielleicht lieber nicht hier in der Londoner Brühe …«
Ohne Missgeschicke gelangte Millicent ans sichere Ufer und sah mit großen Augen zur Mauer und dem trutzigen St. Thomas Tower auf. »Ich habe es mir nicht so
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