Der dunkle Thron
bereitet.«
Die Lippen in dem zerfurchten Gesicht verzogen sich für einen Moment nach oben. »Ja, lauf nur. Verdruss ist etwas, wovon du keine Ahnung hast, ich seh’s in deinen Augen. Aber das kommt schon noch. Schließlich hast du eine Howard geheiratet. Was bedeutet, dass auch du ein Schwachkopf bist.«
Francis hatte genug gehört. Er verneigte sich formvollendet, die Hand auf der Brust. »Lebt wohl, Euer Gnaden.«
Millicent war die erste, die auf dem Absatz kehrtmachte, und sie zog ihn mit sich hinaus. Wortlos stiegen sie die Treppe hinab, und als sie unten zurück in den Sonnenschein kamen, stieß sie wütend hervor: »Kein Wunder, dass dein Vater so eine schlechte Meinung von uns Howard hat. Was für ein abscheulicher Mensch!« Zornestränen funkelten in ihren Augen.
»Na ja«, gab Francis achselzuckend zurück. »Es war abscheulich, dass er dich beleidigt hat.«
»Und dich ebenso«, ereiferte sie sich.
»Aber denk mal darüber nach, was für eine Reihe von Enttäuschungen sein Leben gewesen sein muss. Ich meine nicht nur die lange Haft hier. Schon vorher. Königin Anne. Dann Königin Katherine. Und dann …«
»Oh, Francis, du bist einfach hoffnungslos«, fiel sie ihm halb amüsiert, halb wütend ins Wort. »Sag mir, was muss ein Mensch tun, um dein Mitgefühl zu verlieren?«
»Eine tote Kröte in sein Bett legen«, antwortete eine Stimme hinter ihr lachend.
Millicent fuhr herum. »Was …?«
»Robin!« Francis strahlte und schloss den jungen Mann stürmisch in die Arme, mit dem er an Edwards Prinzenhof jahrelang zusammen die Schulbank gedrückt und eine Kammer geteilt hatte. »Was in aller Welt verschlägt dich in den Tower?«
»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, entgegnete der junge Dudley und schenkte Millicent ein Lächeln, das äußerst charmant, aber nicht ungefährlich war.
»Meine Frau«, sagte Francis mit Nachdruck. »Millicent Howard.«
»Ah. Dann weiß ich, bei wem ihr wart«, gab Robin Dudley zurück und küsste Millicent die Hand. »Ich bin mit meinem Vater hier«, erklärte er dann.
»Northumberland?«, fragte Francis verwundert.
»Der gesamte Kronrat wird sich heute hier einfinden«, sagte Robin.
Francis war die Wiedersehensfreude schlagartig vergangen. »Jesus … Ist der König etwa …?«
Sein Freund hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Mein alter Herr ist nicht gerade besonders mitteilsam. Mir sagt er jedenfalls gar nichts. Nur was ich zu tun und zu lassen habe«, fügte er mit einer kleinen Grimasse hinzu. »Und das bedeutet in diesem Fall, dich zu ihm zu bringen.«
»Mich?« Francis fiel aus allen Wolken. »Was in aller Welt will er von mir?«
»Auch das entzieht sich meiner Kenntnis«, bekannte Robin eine Spur ungeduldig. »Aber wenn du Glück hast, verrät er es dir. Woll’n wir? Es ist dieser Tage nicht besonders ratsam, ihn warten zu lassen.«
Francis tauschte einen Blick mit seiner Frau, die ebenso verwirrt schien wie er selbst. Dann glitt ihr Blick über den Hof, wo es unverändert von Yeoman Warders wimmelte, und sie sagte: »Vermutlich bleibt uns nicht viel anderes übrig, oder?«
Der Duke of Northumberland hatte in der großen Halle im Obergeschoss des White Tower sein Hauptquartier errichtet und beobachtete mit kritischen Blicken seinen jüngsten Sohn Guildford, der zusammen mit einem langen, schlaksigen Wachsoldaten ein kostbares Brokattuch mit einem eingestickten königlichen Wappen über der hohen Tafel an die Wand zu hängen versuchte.
»Noch ein Stück höher«, instruierte der mächtige Herzog.
Doch als Guildfords Blick auf Francis fiel, ließ er das schwere Tuch los und kletterte von seinem Schemel herunter. »Waringham!« Er trat näher und schlug ihm grinsend auf die Schulter. »Glückwunsch zur Vermählung.«
»Gleichfalls, Guildford«, gab Francis mit einem nervösen Lächeln zurück.
Respektvoller als sein Bruder verneigte Guildford sich vor Millicent. »Euer Gemahl, mein Bruder und ich waren Zimmergenossen im Haushalt des Königs in Hatfield, Madam.«
»Ich weiß, Sir.«
»Dann wisst Ihr vermutlich auch, dass wir …«
»Genug jetzt«, unterbrach sein Vater ihn. »Mach dich wieder ans Werk, Guildford, das Wappen soll hängen, wenn Jane hier eintrifft.« Dann musterte er Francis. »Wo ist Euer Vater?«
Francis antwortete nicht sogleich. Er sah vor sich einen korpulenten, untersetzten Mann in sehr eleganten Kleidern. Der Herzog trug eine dieser engen Halskrausen, die neuerdings in Mode kamen und irgendwie so aussahen, als
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