Der dunkle Thron
London. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. London brodelt, Suffolk. Ihr müsstet Euch nur ans Fenster bemühen, um es zu sehen.«
Francis tauschte einen hoffnungsvollen Blick mit seiner Frau, und da niemand sonst sich rührte, trat er an eines der Fenster der Halle, öffnete den rechten Flügel und lehnte sich unvernünftig weit hinaus. »Der Tower Hill ist schwarz von Menschen«, berichtete er verblüfft über die Schulter. »Sie schwenken die Hüte und rufen. Augenblick …« Er schob den Oberkörper noch einen Zoll weiter hinaus, sodass Millicent die Linke in seine Schaube krallte, um ihn notfalls zurückreißen zu können. Francis legte eine Hand ans Ohr und lauschte konzentriert. Dann richtete er sich wieder auf, wandte sich zu den Lords des Kronrats um und verkündete: »›Lang lebe Königin Mary!‹, brüllen sie.« Er bemühte sich erfolgreich, jeden Triumph aus seiner Stimme zu halten, aber gegen das Leuchten seiner Augen konnte er nichts machen.
»Freut Euch nicht zu früh, Söhnchen«, knurrte Suffolk. Er zog sein Schwert, machte drei rasche Schritte auf Francis zu, schleuderte ihn an die Mauer neben dem Fenster und setzte ihm die Klinge auf die Brust. »Mary Tudor wird niemals Königin von England. Und falls doch, werdet Ihr nicht mehr hier sein, um es zu erleben …«
»Francis …« Es war Millicents Stimme, halb Flehen, halb Protest.
Francis presste die Hände gegen die kalten Steinquader des alten Gemäuers. Er sah die Verzweiflung und die Furcht in Suffolks Augen. Er wird es wirklich tun , schoss es ihm durch den Kopf, und die aufsteigende Panik verursachte ihm einen leichten Schwindel. »Lasst meine Frau nicht zuschauen, Sir.« Er war erstaunt über die kühle Höflichkeit seines Tonfalls, wandte den Kopf ab, um nicht länger in die Augen seines Mörders sehen zu müssen, und betete.
»Lasst den Jungen leben, Suffolk«, sagte Erzbischof Cranmer, und er sprach ruhig und nachsichtig, als versuche er, einem Welpen einen erbeuteten Seidenpantoffel abzuschwatzen. »Es ist zu spät.«
Als Francis den Druck der Klinge nicht mehr spürte, öffnete er die Augen und erkannte, dass der Erzbischof Suffolks Handgelenk umklammert hielt und seinen Arm zurückgerissen hatte.
Ohne einen Laut stürzte Millicent zu ihrem Mann und schlang die Arme um seinen Hals. Francis fuhr ihr mit beiden Händen über den Rücken, sah über ihre Schulter zu Cranmer und nickte ihm dankbar zu. Aber er sagte nichts. Er war noch keineswegs sicher, dass er mit dem Leben davonkommen würde.
»Was soll das heißen, ›es ist zu spät‹?«, verlangte Suffolk zu wissen, und seine Stimme überschlug sich. Er riss sich los.
Der mächtige Erzbischof wies zu den Earls of Arundel und Shrewsbury hinüber. »Sie haben unsere Sache verraten«, antwortete er, scheinbar völlig gelassen. »Northumberland hatte die Stadt kaum verlassen, da haben Arundel und Shrewsbury hinter unserem Rücken begonnen, den gesamten Kronrat … umzudrehen.« Er sah Arundel in die Augen. »Ist es nicht so?«
»Ihr sagt es, als wären wir Verräter«, entgegnete Shrewsbury wütend. »Aber die Verräter seid Ihr . Wir haben das Testament des Königs unterschrieben, weil wir einem sterbenden Jungen Frieden geben wollten, aber wir haben von Anfang an gewusst, dass es Unrecht war.«
Francis betrachtete Arundel und Shrewsbury ohne viel Sympathie. Ihr Gesinnungswandel in letzter Minute erschien auch ihm äußerst fragwürdig.
Was er dachte, sprach der Erzbischof unumwunden aus: »Wie sonderbar. Ich meine mich zu erinnern, dass Ihr letzte Woche noch Königin Jane Eurer unsterblichen Treue versichert habt«, spottete er. »Eure Loyalität ist doch wahrhaftig so beständig wie ein Wetterfähnchen …« Er wandte ihnen angewidert den Rücken zu und verneigte sich vor Jane Grey. »Es tut mir sehr leid, Madam. Ich war sicher, es sei Gottes Wille, den wir erfüllen. Aber offenbar haben wir uns getäuscht.« Unfein zeigte er mit dem Finger auf die abtrünnigen Lords. »Sie haben heute früh dem Lord Mayor Nachricht geschickt, dass unsere Sache verloren sei, und ihn aufgefordert, Mary Tudor in Cheapside und St. Paul zur Königin auszurufen. Und das hat er getan. Deswegen feiert die Stadt.«
Sie sah ihm in die Augen und nickte langsam, sagte kein Wort. Francis war unbegreiflich, dass sie ihre Niederlage so gefasst aufnehmen konnte, denn sie musste doch wissen, was sie erwartete.
Weit weniger Haltung als Lady Jane zeigte deren Vater. Mit
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