Der dunkle Thron
nicht?«, fragte Jerome.
»Vielleicht später.«
Der Gast leerte seine Schale mit Hingabe, wischte sie mit einem Stück Brot aus und verspeiste auch das lustvoll. »Seid Ihr krank?«
»Nein, nein.«
Jerome trank einen Schluck, lehnte sich zurück und ließ einen Arm über die Rückenlehne des Brokatstuhls baumeln. »Suffolk hat mich hergeschickt, um Euch die Nachricht zu bringen«, sagte er. »Aber ebenso, um zu sehen, wie es um Euch bestellt ist. Ich weiß ehrlich gestanden nicht, was ich ihm sagen soll. Ihr seht beschissen aus, Mann.«
Nick verzog einen Mundwinkel. »Danke.«
»Und Ihr habt ein Veilchen.«
Erschrocken fuhren Nicks Fingerspitzen an sein linkes Jochbein. »Ist das wahr?« Er schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Na ja.« Er hob verlegen die Schultern. »Kommt vor. Noch Wein?«
»Immer her damit.« Jerome schien zu verstehen, dass Nick das Thema beenden wollte. »Ihr wohnt in diesem alten Kasten?«
»Es hat viele Vorzüge. Vor allem den, dass ich den missfälligen Blicken meiner Stiefmutter entzogen bin. Und sollte ich irgendwann einmal wieder Geld verdienen, wird dieser ›alte Kasten‹ auf Vordermann gebracht. Ich will nicht nur den Turm wieder aufbauen, sondern Kamine einziehen und Wände verputzen und so weiter. Ich will ihn bewohnbar machen.«
»Große Pläne«, bemerkte Jerome Dudley. Es klang spöttisch, aber nicht gehässig.
»Jede Menge«, bestätigte Nick. »Und keinen Penny, um sie in die Tat umzusetzen. Also muss ich einstweilen frieren und hoffen, dass mir der alte Kasten nicht auf den Kopf fällt. Kann ich Euch hier trotzdem ein Bett anbieten?«
»Liebend gern. Ich wüsste nicht …«
Der junge Ritter brach ab, weil ohne Vorwarnung die Tür aufflog. Ray stürmte herein, kam zum Tisch, schlang die Arme um Nicks Taille und vergrub den Kopf an seiner Brust.
Nick zog scharf die Luft ein und befreite sich von der schmerzhaften Umklammerung. »Sachte, Bruder«, murmelte er, sah einen Moment in die großen Kinderaugen, die immer noch voller Angst waren, und lächelte. »Was treibst du denn nur hier? Ich wette, deine Mutter hat verboten, dass du den Bergfried betrittst.«
Der Kleine senkte den Kopf und nickte.
Nick strich ihm über den Schopf – ein wenig ruppiger, als es sonst seine Art war. »Zu Recht. Es ist gefährlich hier drin für Knirpse wie dich.«
»Geht es dir gut?«, fragte Ray leise.
»Könnte nicht besser sein. Das siehst du doch. Schau mal, Ray, ich habe auch Besuch. Sir Jerome Dudley. Na los, zeig, dass du dich wie ein Gentleman benehmen kannst.«
Ray wandte sich um und machte einen artigen Diener. »Sir Jerome. Eine Ehre.«
Der Ritter zwinkerte ihm zu. »Sie ist die meine, mein Junge.«
Sicherheitshalber verbeugte Ray sich noch einmal, vergaß den Gast auf der Stelle wieder und sagte zu Nick: »Sie haben gezankt. Ich glaub, Mutter will, dass Onkel und meine Cousine Katherine wieder nach Hause reiten. Aber Onkel Edmund hört nicht auf sie. Er hat gesagt: ›Es gibt Mittel und Wege.‹ Das hab ich nicht verstanden. Was heißt das, Nick?«
Auf jeden Fall nichts Gutes für meine Zukunft, dachte Nick unbehaglich. Und zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, wie dienlich es den Absichten der Howard wäre, wenn er einem tragischen Unfall zum Opfer fiele. Denn dann wäre Raymond sein Erbe, und Sumpfhexe hätte gewonnen …
»Keine Ahnung, was er meint«, antwortete Nick. »Und jetzt mach kein solches Gesicht. Irgendwann verschwindet er schon wieder. Und deine kleine Cousine hast du doch gern, oder?«
Ray nickte.
»Dann solltest du dich an ihrem Besuch erfreuen und sie nicht so lange allein lassen.« Nick wusste, er musste Ray nach Hause bringen, ehe der Kleine ihre gesamten finsteren Familiengeheimnisse vor Jerome Dudley ausbreitete. Doch Polly kam mit einem neuen Weinkrug und ersparte ihm die schmerzhafte Prozedur des Aufstehens. »Oh, das trifft sich gut. Bring Ray hinüber, sei so gut, Polly. Sag auf Wiedersehen zu Sir Jerome, Raymond. Und hör auf, dir Sorgen zu machen. Es ist alles in Ordnung, glaub mir.«
Sein kleiner Bruder verabschiedete sich höflich und ging an Pollys Hand hinaus. Er schien tatsächlich beruhigt, jetzt da er Nick gesehen hatte.
Jerome sah ihm einen Moment nach und bemerkte: »Ihr habt ganz schön was am Hacken, he?«
»Wie bitte?«
»Einen Bruder, für den Ihr durchs Feuer gehen würdet, der aber zur Hälfte ein Howard ist. Und Sir Edmund Howard hat ein Auge auf Eure Besitztümer geworfen.« Er schnaubte. »Schöne
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