Der dunkle Thron
of Suffolk schickt Euch?«, fragte Nick.
Jerome Dudley nickte knapp. »Mit einer Nachricht.«
»Und zwar?«
Der junge Ritter sah ihn unverwandt an und schwieg eigentümlich lange, ehe er antwortete: »Wolsey ist gestürzt.«
Nick wandte den Kopf ab und stützte die Stirn in die Hand. Es war also passiert. Keine zwei Monate nach der Ermordung seines Vaters hatte dessen Prophezeiung sich erfüllt: Der mächtige Ränkeschmied im roten Kardinalsgewand, der fast zwei Jahrzehnte lang Englands Geschicke im Krieg und im Frieden gelenkt, der den König beherrscht und benutzt hatte und der wie ein Fluch über das Haus von Waringham gekommen war – Thomas Wolsey war gefallen. Wie Luzifer . Aber Nick empfand keine Genugtuung. Es würde seinen Vater und seine Mutter nicht zurückbringen. Nichts von dem, was ihnen passiert war, ungeschehen machen. Im Grunde war es bedeutungslos. Was Nick empfand, war nichts als eine große Ödnis.
»Soll ich vielleicht draußen warten?«, fragte der junge Dudley beklommen.
Nick schüttelte den Kopf und sah wieder auf. »Vergebt mir, Sir, wenn ich mich wunderlich benehme.«
Der Ritter des Duke of Suffolk winkte ab. »Ich gebe zu, Jubel hätte mich mehr befremdet. Aber ich hätte es verstanden. Wieso seid Ihr erschüttert?«
»Wäre Wolsey zwei Monate eher gestürzt, wäre mein Vater noch am Leben.«
Dudley nickte. »Das ist bitter.«
Polly kam herein und stellte ein Tablett mit dampfenden Schalen und Krügen auf den Tisch. »Ich hab Euch auch Eintopf gebracht, Mylord. Ihr müsst etwas essen.«
Schon bei der Vorstellung schnürte Nicks Magen sich zusammen. »Danke, Polly.«
Sie ließ sie wieder allein, und als die Tür sich geschlossen hatte, stand Nick von der Bettkante auf. »Kommt, Sir Jerome. Ich bin sicher, Ihr hattet einen weiten Ritt durch Nässe und Kälte. Esst und trinkt und erzählt mir, was passiert ist. Ist der Kardinal verhaftet worden?«
Jerome beobachtete ihn, während Nick langsam wie ein Greis und mit zusammengebissenen Zähnen Hemd und Wams überstreifte, doch er gab keinen Kommentar ab. »Noch nicht«, antwortete er. »Angeklagt, enteignet und aller Ämter enthoben. Sir Thomas More ist der neue Lord Chancellor.«
»Gut für England«, bemerkte Nick und führte seinen Gast an den Tisch.
»Zweifellos«, stimmte Jerome vorbehaltlos zu. »Aber ist es auch gut für den König und sein großes Anliegen? Wenn der Papst sagt, der König darf sich nicht von der Königin scheiden lassen, dann wird Thomas More schwer vom Gegenteil zu überzeugen sein. Jedenfalls ist es das, was der Duke of Suffolk glaubt.«
»Geht es ihm gut?«, erkundigte sich Nick, den nichts weniger kümmerte als das Königliche Anliegen.
Jerome lächelte, und mit einem Mal verwandelte seine angespannte, betont ausdruckslose Miene sich in ein übermütiges Lausbubengesicht. »Großartig. Ich hatte geglaubt, Wolseys Fall würde ihn hart treffen, denn er stand tief in der Schuld des Kardinals. Aber seit der Geschichte mit Eurem Vater war ihr Verhältnis … frostig geworden. Und jetzt, da der König seinen wichtigsten Ratgeber verloren hat, stützt er sich mehr denn je auf Suffolk. Ich schätze, der Herzog ist jetzt der einflussreichste Mann im Kronrat. Außer Norfolk, natürlich.«
Nick schnitt eine Grimasse. »Bruder Norfolk« profitierte also vom Sturz des Kardinals und baute seine Macht weiter aus. Kein schöner Gedanke. Und Nick fragte sich, ob es das war, was Sumpfhexe so siegesgewiss gestimmt hatte. Ob sie schon wusste, was Jerome Dudley ihm eben erst eröffnet hatte. »Wann ist es passiert? Wolseys Sturz, meine ich.«
»Mitte Oktober wurde er aus dem Kronrat ausgeschlossen. Aber erst vorgestern hat sich das Parlament auf eine Anklageschrift verständigt.« Auf Nicks einladende Geste hin ergriff er eine der Eintopfschalen und begann zu löffeln.
»Probiert den Ipogras«, riet Nick. »Meine Köchin hat ein Geheimrezept. Ich glaube, sie gibt außer Nelken und Zimt einen Hauch Ingwer mit in den heißen Wein.«
Dudley kostete. »Gott, das ist wunderbar«, bekundete er. Mit konzentrierter Miene leckte er sich die Lippen. »Ingwer könnte hinkommen.«
Sie sahen sich an, und zum ersten Mal tauschten sie ein Lächeln.
Verstohlen betrachtete Nick den Ritter seines Vormunds. Jerome Dudley war vielleicht Anfang zwanzig. Ein großer Mann von athletischer Statur, die Kleider schlicht und ein wenig abgetragen, Haar und Augen dunkel, der Blick herausfordernd. Ein gutes Gesicht, fand Nick.
»Ihr esst
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