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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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erinnerte Jerome ihn. Es war neben dem Michaelis-Tag nach der Ernte der zweite Termin im Jahr, da die Bauern ihre Pacht und andere Abgaben an den Grundherrn entrichten mussten. »Ich habe mit Lady Yolanda gesprochen und ihr klargemacht, dass sie dir deine zwei Drittel nicht wieder stehlen kann.«
    »Und?«, fragte Nick spöttisch. »Ich bin sicher, sie war voller Einsicht.«
    »Nein. Aber sie weiß, dass der Wind sich gedreht hat. Luke Reeve hat den Bauern gesagt, sie dürfen ihre Pacht nur an dich oder mich zahlen, nicht an sie. Ich schätze, sie werden sich daran halten.«
    »Gott sei Dank dafür, dass er dich hergeführt hat«, gab Nick zurück. »Du bist derjenige, der Autorität beim Reeve und bei den Bauern hat.«
    Jerome trank einen Schluck aus seinem Becher und winkte mit der anderen Hand ab. » Du bist Lord Waringham, Nick. Das ist es, was für sie zählt.«
    »Kann sein. Ich bin mir nicht sicher.«
    »Und was sonst hast du in der großen Stadt erlebt?«, wollte Jerome wissen, und es klang halb spöttisch, halb neidisch. Jerome Dudley hatte die letzten fünf Jahre an der Seite des Duke of Suffolk verbracht – also meistens bei Hofe. Nick wusste, dass die beschauliche Ruhe in Waringham seinem Freund manchmal zur Prüfung wurde, und er fürchtete sich vor dem Tag, da Jerome sein Pferd satteln und wieder verschwinden würde.
    »Die Königin hat nach mir geschickt, ob du’s glaubst oder nicht«, berichtete er ein wenig unbehaglich.
    Jerome machte große Augen. »Im Ernst? Was wollte sie?«
    Nick erzählte.
    Der junge Dudley lauschte, und seine Miene wurde besorgt. »Junge, Junge. Da hast du dir ganz schön was eingebrockt.«
    »Aber was blieb mir denn übrig?«, verteidigte Nick sich. »Ich hätte dich sehen wollen …«
    Jerome schnaubte belustigt. »Ich muss nicht befürchten, dass mir so was je passieren könnte, selbst wenn Gott sich den Scherz erlauben würde, mich nächste Woche zum Kardinal oder Herzog zu machen.«
    »Und warum nicht?«, fragte Nick.
    »Weil wir Dudleys das sind, was man ›Neue Männer‹ nennt. Böse Zungen sagen auch gern ›Emporkömmlinge‹ …«
    »Ach, hör doch auf«, fiel Nick ihm unwillig ins Wort.
    »Ich sage nur, wie’s ist, Waringham«, entgegnete Jerome. »Hätten die verdammten Rosenkriege nicht die meisten der alten Adelsgeschlechter ausgelöscht, gäbe es bei Hofe heute keine Dudleys. Keine Brandons, keine Boleyns und – so peinlich es auch sein mag – keine Tudors. Aber du bist aus ganz altem Holz geschnitzt. Genau wie die Königin. Ich wette, wenn du weit genug zurückgingest, würdest du sogar feststellen, dass ihr irgendwie verwandt seid.«
    Nick brauchte seine Ahnentafeln nicht zu konsultieren, um zu wissen, dass Jerome recht hatte: Die Großmutter der Mutter der Königin war Catalina of Lancaster gewesen, eine Halbschwester des Kardinals, dessen Bastardtochter die Großmutter von Nicks Großvater gewesen war. Eine sehr weitläufige Verwandtschaft, aber Nick war sich ihrer dennoch bewusst gewesen, als er vor der Königin gestanden hatte.
    »Ich finde es jedenfalls nicht eigenartig, dass Catalina ausgerechnet nach dir geschickt hat«, fügte Jerome hinzu. »Eigenartig war höchstens der Zeitpunkt. Wieso hat sie dich rufen lassen, als du zufällig in London warst? Warum hat sie keinen Boten nach Waringham gesandt, wenn sie dich zu sprechen wünschte?«
    Nick sah ihm in die Augen und nickte langsam. »Doch, Jerome. Das hat sie.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Lady Yolanda entrüstet. »Willst du mir unterstellen, ich hätte einen Boten der Königin weggeschickt, um zu verhindern, dass er dich antrifft?«
    Nick schüttelte den Kopf. »Nicht einen, Madam, sondern zwei. Der erste kam im Oktober, der zweite im Advent. Und beiden habt Ihr gesagt, ich sei mit unbekanntem Ziel aus Waringham verschwunden. Was hättet Ihr getan, wenn sie sich beim Gesinde erkundigt hätten?«
    Yolanda hatte sich aus ihrem Sessel erhoben und stand nur einen Schritt von ihm entfernt. »Du nennst mich eine Lügnerin?«
    »Entweder Ihr lügt oder die Königin. Sie hat kein Motiv. Ihr schon.«
    Die Zornesröte stieg ihr ins Gesicht – erreichte die Nase wie üblich ein, zwei Herzschläge später als Wangen und Stirn –, und die Augen schienen hervorzuquellen. Nick hatte diese Fratze der unkontrollierten Wut schon oft gesehen, aber sie hatte nie aufgehört, ihn zu erschrecken. Als Lady Yolanda zuschlug, bog er den Kopf einfach weg. Er war über die letzten Monate ziemlich schnell

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