Der dunkle Thron
geworden.
»War das die Antwort, mit der Ihr mich abspeisen wollt?«, erkundigte er sich.
»Geh mir aus den Augen!«
Er fand sie so widerwärtig, wenn sie keifte, dass ihm fast körperlich übel davon wurde. »Sobald ich eine Erklärung bekommen habe«, stellte er in Aussicht. »Aber nicht eher.«
Seine Stiefmutter fasste sich wieder. Von einem Herzschlag zum nächsten, so wie immer. Sie trug unverändert Schwarz. Hektische rote Flecken brannten jetzt auf ihren Wangen, ansonsten hatte ihr Gesicht eine ungesunde gelbliche Blässe, und die Furchen an den permanent herabgezogenen Mundwinkeln hatten sich seit dem Tod seines Vaters vertieft. Nick wusste, dass sie litt. Sie trauerte, und vermutlich war sie einsam, vor allem jetzt, da »Bruder Norfolk« ihre Tochter bei Hofe untergebracht hatte. Aber auf sein Mitgefühl musste sie verzichten, zumal sie bei jeder ihrer Begegnungen irgendetwas sagte oder tat, um es im Keim zu ersticken.
Heute war keine Ausnahme. »Ich habe es nur zu deinem Besten getan, Nicholas. Eitel und ahnungslos, wie du bist, musste ich befürchten, dass sie dir mit ihrer Aufmerksamkeit schmeichelt und dich im Handumdrehen dazu bringt, zu tun, was immer sie von dir wollte. Und genau das ist jetzt passiert, nehme ich an. Aber ihre Tage sind gezählt, glaub mir. Und wenn du dich nicht vorsiehst, wirst du mit ihr untergehen.«
»Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Ihr mich vor meiner Eitelkeit und Ahnungslosigkeit beschützen wollt, aber ich wäre Euch ausgesprochen dankbar, wenn Ihr mich meine Boten in Zukunft selbst empfangen ließet.«
Damit machte er auf dem Absatz kehrt, und als er den untersetzten kleinen Mann mit der drolligen Knollennase an der Tür zur Halle entdeckte, war es Nick, als habe er einen Schlag mit einer Eisenstange vor die Stirn bekommen. Es war kein Schreck, der seine Glieder bis in die Fingerspitzen durchzuckte, sondern es war eher so etwas wie das blanke Entsetzen. Im letzten Moment hinderte er sich daran, einen Schritt zurückzutaumeln. »Master Cromwell. Sieh an.«
Der unwillkommene Gast zeigte sein verschmitztes Lächeln. »Ihr erinnert Euch? Wie schmeichelhaft.«
Nick dachte flüchtig, selbst wenn er hundert Jahre alt würde, könnte er doch niemals das Gesicht des Mannes vergessen, der seinen Vater verhaftet hatte. Aber das sagte er nicht. »Unangemeldet und ungebeten in eine Halle zu platzen ist Eure bevorzugte Art, Eure Aufwartung zu machen, Sir?«, fragte er stattdessen.
»Ich bitte um Vergebung.« Cromwell verneigte sich knapp vor Lady Yolanda. »Madam.«
Sie nickte, ihre Miene wie versteinert.
Cromwell wandte sich wieder an Nick. »Wenn es nicht zuviel verlangt ist, hätte ich Euch gern einen Moment gesprochen, Mylord.«
Nick fiel auf Anhieb niemand ein, mit dem zu sprechen er weniger Neigung verspürt hätte. Aber wenn er sich verweigerte, würde Sumpfhexe irgendwie Kapital daraus schlagen, das wusste er genau. Außerdem war Thomas Cromwell kein Mann, den man gefahrlos brüskieren konnte. Nick hatte inzwischen allerhand Erstaunliches über ihn gehört: Genau wie Sir Thomas More galt Cromwell als einer der besten Juristen Englands. Ganz im Gegensatz zu Sir Thomas More ließ Cromwell sich aber von jedem schmieren, der ein Anliegen an ihn hatte. Dennoch hatte es den Anschein, als sei er nicht vollkommen ohne Ehre, denn er hatte dem gestürzten Kardinal Wolsey die Treue gehalten, war einer der wenigen, die den einstigen Lord Chancellor in seinem Hausarrest besuchten, und angeblich bemühte er sich sogar, zwischen dem Kardinal und dem König zu vermitteln. Diese offene Loyalität war ausgesprochen gefährlich. Doch hatte seine Treue seinem einstigen Förderer gegenüber den König offenbar gerührt, der Cromwell zu einem Sitz im Parlament verholfen hatte, wo dieser es verstand, sich der Krone von Tag zu Tag unentbehrlicher zu machen.
»Gewiss, Sir«, antwortete Nick steif und machte eine einladende Geste zur Tür. »Wenn Ihr mich in den Bergfried hinüberbegleiten wollt …«
»Nicholas …«, warnte seine Stiefmutter in seinem Rücken, aber er wandte sich nicht mehr zu ihr um.
»Ich glaube, wir waren ohnehin fertig, Madam«, knurrte er über die Schulter, geleitete seinen Gast aus dem Haus, über den Innenhof und in sein Gemach im Bergfried.
»Master Cromwell, dies ist Jerome Dudley.«
Jerome stand auf und streckte Cromwell die Hand entgegen. »Wir kennen uns«, klärte er Nick auf. »Cromwell! Was verschlägt Euch hierher ans Ende der Welt?«
Der
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