Der dunkle Thron
zweite Kompliment innerhalb kürzester Zeit«, entgegnete er. »Wieso habe ich das Gefühl, dass Ihr irgendetwas von mir wollt, Sir?«
Eustache Chapuys zog die schmalen Brauen in die Höhe und wandte sich wieder an Mary. »Ich hoffe, Ihr seid wohl, Hoheit?«
Die Prinzessin setzte sich in den Sessel, der dem Kamin am nächsten stand. »Viel besser, lieber Freund«, versicherte sie und lud Lady Margaret und die beiden Männer mit einer Geste ein, Platz zu nehmen.
»Ich fürchte, ich bringe schlechte Neuigkeiten«, sagte der kaiserliche Gesandte ernst.
»Ist es Mutter?«
»Nein, nein. Ihr geht es so gut, wie man in Anbetracht der Umstände erwarten kann. Sie ist eine sehr tapfere Frau. Und das müsst auch Ihr jetzt sein.«
Das junge Mädchen kniff einen Moment die Augen zu. »Das bin ich. Das war ich immer. Nur spannt mich nicht auf die Folter, ich bitte Euch. Was ist passiert?«
Chapuys folgte ihrer Bitte. Undiplomatisch – was ganz und gar nicht seiner Gewohnheit entsprach – kam er zur Sache. »Seine königliche Majestät, Euer Vater, hat Lady Anne Boleyn geheiratet.«
Nick biss eilig die Zähne zusammen, um einen Laut des Unglaubens zu unterdrücken.
Mary sprach aus, was er dachte: »Ist das wahr, Sir? Wie sonderbar. Ich hätte schwören können, mein Vater sei mit meiner Mutter verheiratet.«
In der Kunst des beißenden Hohns steht sie ihrem Vater in nichts nach, fuhr es Nick durch den Kopf.
»Nun, das ist ja genau die Frage, an der sich in England und der ganzen Christenheit seit Jahren die Gemüter erhitzen, nicht wahr?«, erwiderte Chapuys und schlug die Beine übereinander.
Mary stieß die Luft durch die Nase aus und schwieg. So war es Lady Margaret, die scheinbar gänzlich gelassen fragte: »Was hat sich plötzlich geändert?«
Chapuys warf Mary einen besorgten Blick zu. »Ihr wisst, dass der alte Erzbischof von Canterbury gestorben ist, nehme ich an?«
Die Prinzessin nickte.
»Er war das letzte Bollwerk für göttliches Recht und göttliche Ordnung in diesem umnachteten, barbarischen Land«, behauptete Chapuys unverblümt.
»He!«, protestierte Nick, der auf diese spezielle imperiale Hochnäsigkeit immer empfindlich reagierte.
»Ihr werdet noch zugeben, dass ich recht habe, mein junger Freund«, fuhr Chapuys fort. »Denn Thomas Cranmer ist sein Nachfolger geworden und …«
»Cranmer?«, unterbrach Mary ungläubig. »Dieser lutherische Ketzer ist Erzbischof von Canterbury? Englands oberster Kirchenfürst?«
»Obendrein ein verheirateter lutherischer Ketzer«, warf Chapuys ein, der ein beinah kindliches Vergnügen an den Skandalen zu haben schien, die sein unvergleichliches Spionagenetz ans Licht förderte.
»Das wird der Papst niemals zulassen«, widersprach Lady Margaret eine Spur gelangweilt.
»Ich fürchte, das hat er bereits, Mylady.« Der schmächtige Jurist mit den lebhaften blauen Augen, den der Kaiser nach England geschickt hatte, um für seine und die Interessen seiner Tante Catalina am dortigen Hof zu verhandeln, zu intrigieren und zu spionieren, blickte in die drei Gesichter, die eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Verwirrung widerspiegelten. Dann erklärte er: »Das hat natürlich alles dieser widerwärtige Cromwell ausgeheckt: König Henry hat den Papst erpresst, Cranmers Wahl zum Erzbischof zuzustimmen. Andernfalls werde das englische Parlament ein Gesetz beschließen, welches alle Zahlungen an die Kirche in Rom untersagt. Der Papst ist eingeknickt, Cranmer wird Erzbischof. Mit dem Segen des Heiligen Stuhls. Unterdessen hat Cromwell ein Gesetz durchs Parlament gepeitscht, welches ein von einem erzbischöflichen Gericht erlassenes Urteil in ehelichen Angelegenheiten unumstößlich macht. Eine Berufung gegen ein solches Urteil vor dem päpstlichen Gerichtshof in Rom ist nicht mehr zulässig.« Seufzend hob er beide Hände und ließ sich dann in seinen Sessel zurücksinken. »Ich nehme an, Ihr könnt Euch selbst ausrechnen, worauf es hinausläuft.«
»Der neue Erzbischof wird die Ehe meiner Eltern für ungültig erklären«, flüsterte Mary. Sie hatte die Hände um die Armlehnen ihres Sessels gelegt und starrte auf den kostbaren Teppich zu ihren Füßen. Ihr Kopf war gesenkt, aber Nick sah die Schamesröte auf ihren Wangen. »Das heißt …« Die Prinzessin schluckte sichtlich. »Das heißt, das Gericht des englischen Erzbischofs wird mich als königlichen Bastard brandmarken, meine Mutter als die Frau, die beinah ein Vierteljahrhundert lang in Sünde mit dem König
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