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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Übrigen habt Ihr recht, Mylady, es ist noch kühl. Kommt, lasst uns hineingehen, ehe Lord Waringham Hungers stirbt.«
    Sie schlenderten den Pfad zwischen den frühlingshellen Wiesen entlang zum mächtigen Torhaus von Newhall. Es war ein moderner Palast, den der König sich hier vor rund fünfzehn Jahren hatte bauen lassen, und er erinnerte Nick ein wenig an Hampton Court: Die Anlage war ein ungleichmäßiges Schachbrett aus umbauten Höfen. Der zentrale Innenhof wurde zur Linken von der Halle, rechts von den königlichen Gemächern gesäumt, die Mary bewohnte, seit der König sie vor über zwei Jahren hierher geschickt hatte.
    Auf Lady Anne Boleyns Betreiben, wie nicht nur Nick wusste. König Henry hatte sich von seiner »jungen Dame« überzeugen lassen, nur der schlechte Einfluss der Königin sei schuld daran, dass Mary keine Freundschaft mit ihr – Lady Anne – schließen wolle. Also entschied Henry, Königin und Prinzessin voneinander zu trennen und schickte Mary nach Newhall. In den ersten Monaten hatte sie ihre Mutter noch häufig besucht, aber dann hatte der König im vorletzten Sommer auch Königin Catalina von seinem Hof verbannt – war von Windsor aus zu einem Stelldichein mit seiner Geliebten aufgebrochen und hatte seiner Gemahlin ausrichten lassen, sie habe zu packen, sich nach Moor in Hertfordshire zu begeben und ihn fortan nicht mehr mit ihren Beteuerungen und Vorhaltungen zu behelligen. Er hatte Catalina nach einundzwanzig Ehejahren davongejagt wie eine diebische Kammerzofe, wetterten die Engländer voller Empörung.
    Seither hatte die Prinzessin ihre geliebte Mutter nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ein Brief dann und wann, das war alles. Als sie krank geworden war, hatte der König erlaubt, dass Catalinas Leibarzt die Prinzessin behandelte, aber ihre Mutter hatte er nicht zu ihr gelassen. Und nicht nur Nick vermutete, dass das der eigentliche Grund war, warum die Genesung der Prinzessin so schleppend vorangegangen war. Ihr Gemüt hatte sich verdüstert, weil sie ihre Mutter so schrecklich vermisste.
    In der behaglichen kleinen Halle, die zu Marys Gemächern gehörte, brannte ein Feuer.
    »Oh, das kommt gerade recht«, sagte die Prinzessin und trat näher, um sich die Hände zu wärmen. Als sich aus einem der Kaminsessel mit den hohen Rückenlehnen ein Mann erhob, fuhr sie mit einem kleinen Laut des Schreckens zurück.
    Nick hatte das Schwert in der Rechten und war an ihrer Seite, ehe der Besucher ganz auf die Füße gekommen war. »Was zum Henker … Oh, Master Chapuys.« Er senkte eilig die Waffe. »Vergebt mir.«
    Der kaiserliche Gesandte war nicht zurückgezuckt. Er verneigte sich tief vor der Prinzessin. »Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss«, sagte er mit seiner tiefen, volltönenden Stimme. »Nichts lag mir ferner, als Euch zu erschrecken, Hoheit. Euer Steward teilte mir mit, Ihr seiet mit Lady Margaret und Waringham in den Garten gegangen, um ein wenig zu lustwandeln, und war so gut, mir die Wartezeit mit einem Becher Wein zu versüßen.« Er verneigte sich vor Lady Margaret ebenso ehrerbietig wie vor der Prinzessin. Dann fiel sein Blick auf den jungen Waringham. »Ihr seid schnell, Mylord«, lobte er mit einem Anflug von Spott. »Vermutlich kann ich mich glücklich schätzen, den Kopf noch auf den Schultern zu haben.«
    Nick steckte seine Klinge ein und erwiderte: »Ich habe noch nie einen Mann erschlagen, Sir, aber ich hoffe doch, wenn die Notwendigkeit sich eines Tages ergeben sollte, werde ich genau hinschauen, um mich zu vergewissern, dass er auch wirklich ein Schurke ist.«
    »Hm. Ich bin unschlüssig, ob ich mich nun vor Euch sicher fühlen kann oder nicht.«
    »Das bedeutet, Ihr seid unschlüssig, ob Ihr ein Schurke seid oder nicht?«
    »Weil die Antwort auf diese Frage wie so viele Dinge im Leben von der Sichtweise abhängt«, räumte der Botschafter Seiner kaiserlichen Majestät mit einem mokanten Lächeln ein. Dann nahm er sich einen Moment Zeit, um den jungen Mann aufmerksam zu mustern. »Es wird Zeit, dass Ihr aufhört zu wachsen, Waringham, sonst werdet Ihr Euch bald an jedem Türsturz den Schädel einrennen. Es wäre schade um Euren Verstand, wisst Ihr.«
    Nick, den noch ein gutes Vierteljahr von seinem achtzehnten Geburtstag trennte, war sich überhaupt nicht bewusst, wie schnell er immer noch wuchs, aber jetzt fiel ihm auf, dass Chapuys beinah einen Kopf kleiner war als er. Bei ihrer letzten Begegnung war das noch nicht der Fall gewesen. »Das war jetzt das

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