Der dunkle Thron
gelebt hat. Als seine …«
»Nein, sagt es nicht, bitte«, fiel Nick ihr ins Wort. Er konnte es nicht aushalten, sie so reden zu hören.
Aber Mary ließ sich nicht zum Schweigen bringen. Sie hob den Kopf und sah Nick in die Augen. »Als seine Hure. Und weil dieses Urteil des erzbischöflichen Gerichts bereits jetzt feststeht, konnte der König die Frau, die in Wahrheit seine Hure ist, heiraten.« Sie sah zu Chapuys. »Würdet Ihr sagen, ich habe die Fakten korrekt zusammengefasst, Sir?«
Der Gesandte nickte bekümmert. »Treffsicher wie üblich, Hoheit.«
»Niemand in der ganzen Christenheit wird diesen Blödsinn anerkennen«, sagte Nick wütend. »Nicht der König von Frankreich, nicht die Grafen der Niederlande, ganz sicher nicht der Papst und erst recht nicht der Kaiser.«
»Nein«, stimmte Chapuys zu. »Darum steht zu hoffen, dass die Verwirklichung seines lang gehegten Traums König Henry noch zum Albtraum wird.«
»Wenn Ihr den Kaiser dazu anstiften wollt, eine Art Heiligen Krieg gegen England anzuzetteln, um die Ehre seiner Tante wiederherzustellen, dann erzählt es mir nicht, Sir«, grollte Nick. »Denn ich bin Engländer , versteht Ihr? Und außerdem …«
Mary hob langsam die Linke, Handfläche nach außen, und brachte ihn damit zum Schweigen. »Warum heiratet er sie ausgerechnet jetzt?«, fragte sie. »Warum wartet er nicht wenigstens, bis Cranmers lächerliches Schmierentheater von einem Prozess über die Bühne gegangen ist?«
Chapuys zögerte einen Moment, und Nick erkannte, dass die schlimmen Neuigkeiten noch nicht erschöpft waren. »Weil seine königliche Hoheit Lady Anne am Pfingstsonntag zu seiner Königin zu krönen wünscht«, erklärte der Gesandte.
Doch die Prinzessin hatte nicht umsonst ihr ganzes Leben unter Höflingen, Politikern und Diplomaten verbracht. Sie erkannte, wenn sie mit einer ausweichenden Antwort abgespeist wurde. »Warum? Wozu die Eile?«
Chapuys kapitulierte. »Weil sie guter Hoffnung ist.«
»Oh, süßer Jesus«, murmelte Nick. »Das Miststück ist schwanger …«
Der kaiserliche Botschafter nickte trübsinnig. »Und der König wird tun, was nötig ist, um dafür zu sorgen, dass dieses Kind von seiner rechtmäßigen Ehefrau und Königin geboren wird, damit niemand seine Legitimation und seinen Thronanspruch infrage stellen kann, wenn es ein Prinz wird.«
Prinzessin Mary schlug die Hand vor den Mund, sprang auf die Füße und stürzte mit einer undeutlich gemurmelten Entschuldigung aus dem Gemach.
Nick, Lady Margaret und Eustache Chapuys sahen ihr nach.
»Sie ist noch nicht wieder richtig auf der Höhe«, bemerkte Nick. »Alles schlägt ihr immer sofort auf den Magen.«
»Ich glaube nicht, dass Ihr ermessen könnt, welch einen Schock Ihr ihr versetzt habt, Chapuys«, sagte Lady Margaret mit leisem Vorwurf.
»Und doch können wir es uns nicht leisten, die Wahrheit vor ihr zu verbergen, nicht wahr?«, konterte Chapuys. »Wir müssen tun, was in unserer Macht steht, damit die Prinzessin zu Kräften kommt und wieder richtig gesund wird, Mylady. Denn um all das zu verdauen, was ihr bevorsteht, wenn Anne Boleyn Königin von England wird, braucht sie einen robusten Magen, glaubt mir. Da fällt mir ein, wie geht es Eurem reiselustigen Sohn, Madam?«
»Reginald?«, fragte Lady Margaret ein wenig verdattert. »Gut. Er ist in Padua, soweit ich weiß.«
Reginald Pole war ein vielbeachteter Gelehrter, den der König für die theologische Legitimation seiner Scheidungsabsichten hatte einspannen wollen. Doch Reginald hatte es vorgezogen, sich ins Ausland zu begeben und von dort – aus sicherer Entfernung, wie die Spötter betonten – gegen die Pläne des Königs zu taktieren.
Chapuys nickte und bemerkte dann beiläufig: »Dem Kaiser ist offenbar die Frage in den Sinn gekommen, was wäre, wenn Prinzessin Mary und Euer Sohn heiraten würden, Madam.«
Lady Margaret sah ihm einen Moment in die Augen, ehe sie erwiderte: »Ihr könnt Seiner kaiserlichen Majestät ausrichten, dass das nicht infrage kommt. Wenn mein Sohn die Prinzessin heiratete, hieße das, dass er einen Anspruch auf die Krone geltend macht. Das war es doch, was Ihr meintet, nicht wahr? Dann würde eins von zwei Dingen geschehen: Mein Sohn würde getötet, oder der Thronfolgekrieg würde wieder ausbrechen. An beidem ist mir nicht gelegen. Im Übrigen bin ich die Countess of Salisbury, Sir, und habe König Henry einen Lehnseid geschworen. Denkt Ihr, ich gehöre zu den Menschen, die eidbrüchig werden?«
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