Der Dunkle Turm 3 - Tot
»Erzählen Sie uns alles über Blaine und Lokführer Bob.«
11
»Lokführer wer?« fragte Eddie, aber Jake sah weiter unverwandt die alten Leute an.
»Das Gleis liegt da drüben«, antwortete Si schließlich. Er deutete zum Fluß. »Nur ein Gleis, hoch auf einer Säule aus Steinen von Menschenhand, wie die Alten ihre Straßen und Mauern gebaut haben.«
»Monorail – eine Einschienenbahn!« rief Susannah. »Blaine, der Mono!«
»Blaine ist eine Pein«, murmelte Jake.
Roland sah ihn an, sagte aber nichts.
»Fährt dieser Zug noch?« wandte sich Eddie an Si.
Si schüttelte langsam den Kopf. Sein Gesicht sah besorgt und unbehaglich aus. »Nein, Junger Sir – aber zu meinen Lebzeiten und denen von Tantchen, da fuhr er noch. Als wir grün hinter den Ohren waren und der Krieg in der Stadt noch erbittert geführt wurde. Wir hörten ihn, bevor wir ihn sahen – ein tiefes Summen, wie man es manches Mal vernahm, wenn ein schlimmes Sommergewitter sich zusammenbraut – eins, das voller Blitze steckt.«
»Ay«, sagte Tante Talitha. Ihr Gesicht sah verloren und verträumt aus.
»Dann kam er – Blaine, der Mono; er funkelte in der Sonne mit einer Schnauze wie die Patronen in Eurem Revolver, Revolvermann. Vielleicht zwei Räder lang. Ich weiß, das hört sich an, als könnte es nicht sein, und vielleicht war es auch nicht so – wir waren grün, müßt Ihr gewärtig sein, das macht den Unterschied aus. Aber ich glaube dennoch, daß er so lang war, denn wenn er kam, schien er sich über den ganzen Horizont zu strecken. Schnell, flach und vorbei, ehe man ihn richtig ansehen konnte!
An Tagen, an denen das Wetter schlecht war und die Luft stand, kreischte er manchmal wie eine Harpyie, wenn er von Westen kam. Manchmal kam er in der Nacht, hatte ein langes, weißes Licht vor sich ausgebreitet, und sein Schrei weckte uns alle. Hat sich angehört wie die Trompete, die am Ende der Welt alle Toten aus den Gräbern ruft, sagen sie, so war es!«
»Erzähl ihnen von dem Knall, Si!« sagte Bill oder Till mit einer vor Ehrfurcht bebenden Stimme. »Erzähl ihnen von dem gottlosen Knall, der ihm stets nachfolgte!«
»Ay, darauf wollte ich gerade kommen«, antwortete Si mit einem Anflug von Gereiztheit. »Wenn er vorbei war, herrschte ein paar Sekunden Stille… manchmal bis zu einer Minute, möglicherweise… und dann erfolgte eine Explosion, die die Schränke durchschüttelte und Tassen von den Regalen warf und manchmal sogar das Glas in den Fensterscheiben zerbrach. Aber niemals sah jemand Blitz oder Feuer. Es war wie eine Explosion in der Welt der Geister.«
Eddie klopfte Susannah auf die Schulter, und als diese sich zu ihm umdrehte, formte er mit den Lippen das Wort Überschallknall. Es war verrückt – er hatte noch nie von einem Zug gehört, der mit Überschallgeschwindigkeit fuhr –, aber es war die einzig logische Erklärung.
Sie nickte und drehte sich wieder zu Si um. »Er war die einzige Maschine der Großen Alten, die ich jemals mit eigenen Augen in Betrieb gesehen habe«, sagte er mit leiser Stimme. »Und wenn das kein Teufelswerk gewesen ist, dann gibt es keinen Teufel. Zum letztenmal gesehen habe ich ihn in dem Frühjahr, als ich Mercy geheiratet habe, und das muß vor sechzig Jahren gewesen sein.«
»Siebzig«, sagte Tante Talitha mit Nachdruck.
»Und dieser Zug fuhr in die Stadt«, sagte Roland. »Von dort, woher wir gekommen sind… von Westen… vom Wald.«
»Ay«, sagte unerwartet eine neue Stimme, »aber es fuhr noch einer… aus der Stadt hinaus… und möglicherweise fährt der noch.«
12
Sie drehten sich um. Mercy stand bei einem Blumenbeet zwischen der Rückwand der Kirche und dem Tisch, wo sie saßen. Sie näherte sich mit ausgestreckten Armen langsam ihren Stimmen.
Si erhob sich linkisch, eilte, so gut er konnte, zu ihr und ergriff ihre Hand. Sie schlang einen Arm um seine Taille, dann blieben sie stehen und sahen wie das älteste Brautpaar der Welt aus.
»Tantchen hat dir gesagt, du sollst deinen Kaffee drinnen trinken!« sagte er.
»Meinen Kaffee hab’ ich schon lange getrunken«, sagte Mercy. »Ein bitteres Gebräu, das ich verabscheue. Außerdem – ich wollte das Palaver hören.« Sie hob einen zitternden Finger und deutete in Rolands Richtung. »Ich wollte seine Stimme hören. Sie klingt gut und hell, das tut sie.«
»Ich erflehe deine Verzeihung, Tantchen«, sagte Si und sah die alte Frau ein wenig furchtsam an. »Sie gehörte nie zu den Folgsamen, und die Jahre
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