Der Dunkle Turm 3 - Tot
bist, nicht die Schau stehlen wollte, aber jetzt ist es wichtig, was ich gehört habe, und darum rede ich jetzt!«
»Ich glaube dir, Sai«, sagte Roland. »Aber bist du ganz sicher, daß du das Geräusch des Mono seither nicht mehr gehört hast?«
»Nee, seither nicht mehr. Ich denke, er hat schließlich das Ende seines Wegs erreicht.«
»Das bezweifle ich«, sagte Roland. »Das bezweifle ich wirklich sehr.« Er sah nachdenklich auf den Tisch und war plötzlich sehr weit von ihnen entfernt.
Tschuff-tschuff, dachte Jake und erschauerte.
13
Eine halbe Stunde später standen sie wieder auf dem Platz. Susannah saß im Rollstuhl, Jake rückte die Gurte seines Rucksacks zurecht, während Oy auf den Hinterbeinen saß und ihnen aufmerksam zusah. Nur die Ältesten hatten an dem Essen in dem kleinen Garten Eden hinter der Kirche des Ewigen Blutes teilgenommen, schien es, denn als sie auf den Platz zurückkehrten, wartete noch ein rundes Dutzend Menschen. Diese betrachteten Susannah, sahen Jake aber länger an (seine Jugend schien offenbar interessanter zu sein als ihre dunkle Haut), doch es war deutlich, daß sie eigentlich gekommen waren, um Roland zu sehen; uralte Ehrfurcht leuchtete in ihren staunenden Augen.
Er ist das lebendige Überbleibsel einer Vergangenheit, die sie nur aus Geschichten kennen, dachte Susannah. Sie sehen ihn an, wie religiöse Menschen einen der Heiligen angesehen haben müssen – Petrus, Paulus oder Matthäus –, wenn dieser beschlossen hatte, zum samstagabendlichen Bohnenessen vorbeizuschauen und ihnen erzählte, wie es gewesen war, mit Jesus, dem Zimmermann auf dem Meer von Galiläa herumzuspazieren.
Das Ritual, mit dem das Essen zu Ende gegangen war, wurde nun wiederholt, aber diesmal nahmen alle Einwohner von River Crossing daran teil. Sie stellten sich alle in einer Reihe auf, schüttelten Eddie und Susannah die Hände, küßten Jake auf die Wange oder Stirn und knieten dann vor Roland nieder, um seine Berührung und seinen Segen entgegenzunehmen. Mercy schlang die Arme um ihn und drückte das blinde Gesicht an seinen Bauch. Roland umarmte sie ebenfalls und dankte ihr für ihre Informationen.
»Möchtet Ihr nicht die Nacht bei uns verbringen, Revolvermann? Der Sonnenuntergang nähert sich in Eile, und es ist lange her, seit Ihr und die Euren die Nacht mit einem Dach über dem Kopf verbracht habt, möchte ich meinen.«
»So ist es, dennoch müssen wir weiter.«
»Werdet Ihr wiederkehren, so es möglich ist, Revolvermann?«
»Ja«, sagte Roland, aber Eddie mußte seinem seltsamen Freund nicht ins Gesicht sehen, um zu wissen, daß sie River Crossing nie wiedersehen würden. »Wenn ich kann.«
»Ay.« Sie umarmte ihn ein letztes Mal, dann legte sie eine Hand Si auf die sonnengebräunte Schulter. »Lebet wohl.«
Tante Talitha kam als letzte. Als sie knien wollte, hielt Roland sie an den Schultern fest. »Nein, Sai. Du nicht.« Und dann kniete sich Roland vor ihr in den Staub auf dem Platz. »Wirst du mich segnen. Alte Mutter? Wirst du uns alle segnen, ehe wir weiter unseres Weges ziehen?«
»Ay«, sagte sie. Ihre Stimme klang nicht überrascht, sie hatte keine Tränen in den Augen, aber dennoch bebte ihre Stimme. »Ich sehe, daß Euer Herz aufrichtig ist und Ihr Euch an die alten Weisen Eurer Art haltet; ay, Ihr nehmt sie sehr genau. Ich segne Euch und die Euren und bete, daß Euch kein Leid geschehen mag. Und nun nehmt dies, so Ihr wollt.« Sie griff ins Leibchen ihres verblichenen Kleides und holte ein silbernes Kreuz an einer feinen Silberkette heraus. Sie streifte es ab.
Nun war Roland der Überraschte. »Bist du sicher? Ich bin nicht gekommen, um etwas fortzunehmen, das dir und den Deinen gehört, Alte Mutter.«
»Dessen bin ich gewißlich, gewisser kann ich nicht sein. Ich habe es Tag und Nacht über hundert Jahre lang getragen, Revolvermann. Jetzt sollt Ihr es tragen, es am Fuß des Dunklen Turms niederlegen und den Namen von Talitha Unwin am fernen Ende der Erde aussprechen.« Sie streifte ihm die Kette über den Kopf. Das Kreuz fiel in den offenen Halsausschnitt seines Wildlederhemds, als würde es dorthin gehören. »Geht jetzt. Wir haben das Brot gebrochen, wir haben ein Palaver abgehalten, wir haben Euren Segen und Ihr den unseren. Seid standhaft und seid aufrichtig.« Ihre Stimme bebte und brach beim letzten Wort.
Roland erhob sich, dann verbeugte er sich und klopfte sich dreimal an den Hals. »Danke-sai.«
Sie verbeugte sich ebenfalls, sagte aber nichts.
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