Der Dunkle Turm 3 - Tot
aber spüren, wie sich beide unter seinem Gewicht elastisch durchbogen. Jetzt hatte er einen Ausblick auf den Wald und die Vorgebirge im Westen wie aus einem Krähennest; die Landschaft breitete sich wie ein welliger Teppich unter ihm aus. Unter anderen Umständen wäre es ein Ausblick gewesen, den man genießen konnte.
Top of the world, Ma, dachte er. Er sah ins Gesicht des Bären, und einen Augenblick verdrängte schlichtes Erstaunen alle anderen Gedanken aus seinem Verstand.
Etwas wuchs aus dem Schädel des Bären, und Eddie fand, daß es wie eine kleine Radarantenne aussah.
Das Instrument drehte sich ruckartig und reflektierte dabei Sonnenlicht wie Blitze, und Eddie konnte es leise quietschen hören. Er hatte genügend Gebrauchtwagen besessen – wie sie bei Autohändlern standen, mit den Worten ANGEBOT DER WOCHE auf der Windschutzscheibe –, und er fand, das Geräusch, das von diesem Instrument ausging, war das von Kugellagern, die sich festfressen, wenn sie nicht bald ausgewechselt werden.
Der Bär gab ein langgezogenes, schnurrendes Knurren von sich. Gelber Schaum, in dem es von Würmern wimmelte, quoll ihm wie geflochtene Kordeln zwischen den Kiefern heraus. Wenn er noch niemals ins Antlitz völligen Wahnsinns gesehen hatte (aber er vermutete, das hatte er, hatte er dem Weltklasseflittchen Detta Walker doch mehr als einmal Auge in Auge gegenübergestanden), jetzt sah Eddie hinein… aber das Gesicht war Gott sei Dank gute acht Meter unter ihm, und die höchsten Krallenspuren lagen immer noch vier Meter unter seinen Füßen. Und im Gegensatz zu den Bäumen, an denen der Bär unterwegs seine Wut ausgelassen hatte, war dieser hier nicht abgestorben.
»Mexikanisches Unentschieden, mein Schatz«, keuchte Eddie. Er wischte sich mit einer harzigen, klebrigen Hand den Schweiß von der Stirn und schnippte die Schweinerei dem Bären ins Gesicht.
Dann umklammerte das Wesen, das das Alte Volk Mir genannt hatte, den Baumstamm mit den gewaltigen Vorderpfoten und fing an, ihn zu schütteln. Eddie umklammerte den Stamm und hielt sich in Todesangst daran fest, während die Pinie langsam hin und her zu schwingen begann wie ein Pendel.
6
Roland blieb am Rand der Lichtung stehen. Susannah, die auf seiner Schulter saß, sah fassungslos über die freie Fläche. Das Monster stand vor dem Baum, wo Eddie gesessen hatte, als sie die Lichtung vor fünfundvierzig Minuten verließen. Durch den Schirm von Zweigen und dunkelgrünen Nadeln konnte sie nur Bruchstücke seines Körpers erkennen. Rolands anderer Revolvergurt lag neben einem Fuß des Ungeheuers. Das Halfter, sah sie, war leer.
»Mein Gott«, murmelte sie.
Der Bär schrie wie eine Frau in Not und fing an, den Baum zu schütteln. Die Äste bogen sich wie bei starkem Wind. Ihr Blick glitt in die Höhe, und sie erblickte eine dunkle Gestalt weit oben. Eddie umarmte den Stamm, während der Baum schwankte und wankte. Vor ihren Augen rutschte einer seiner Arme ab und ruderte wild, um wieder Halt zu finden.
»Was sollen wir nur tun?« schrie sie zu Roland hinunter. »Er wird ihn herunterschütteln! Was sollen wir tun?«
Roland versuchte nachzudenken, aber dieses seltsame Gefühl hatte sich wieder eingestellt – es war inzwischen fast sein ständiger Begleiter, aber Streß schien es schlimmer zu machen. Er kam sich vor wie zwei Männer, die in ein und demselben Schädel existierten. Jeder Mann verfügte über seine eigenen Erinnerungen, und wenn sie zu streiten anfingen und jeder darauf bestand, daß seine Erinnerungen die richtigen waren, war dem Revolvermann zumute, als würde er entzweigerissen werden. Er unternahm einen verzweifelten Versuch, die beiden Hälften miteinander zu versöhnen, und hatte Erfolg damit… wenigstens im Augenblick.
»Es ist einer der Zwölf!« rief er. »Einer der Wächter! Muß so sein! Aber ich habe gedacht, sie wären…«
Der Bär brüllte wieder zu Eddie hinauf. Jetzt schlug er auf den Baum ein wie ein Preisboxer. Äste brachen ab und bildeten einen Wirrwarr zu seinen Füßen.
»Was?« schrie Susannah. »Was ist der Rest?«
Roland machte die Augen zu. In seinem Kopf brüllte eine Stimme: Der Junge hieß Jake! Eine andere Stimme brüllte zurück: Es GAB keinen Jungen! Es GAB keinen Jungen, das weißt du!
Verschwindet, alle beide! fauchte er, und dann rief er laut: »Schieß auf ihn! Schieß ihm in den Arsch, Susannah! Er wird sich umdrehen und angreifen! Und wenn, dann halt nach etwas auf seinem Kopf Ausschau! Es…«
Der
Weitere Kostenlose Bücher