Der Dunkle Turm 3 - Tot
sein. Die Worte LaMERK FOUNDRY waren in das Metall eingeprägt. Eddie stellte fasziniert fest, daß er nicht mehr unterscheiden konnte, ob es sich dabei um Hochsprache oder um Englisch handelte.
»Ich glaube, den können wir benützen«, sagte Roland. »Es gibt nur eine gefährliche Stelle. Siehst du sie?«
»Ja – sie ist irgendwie schwer zu übersehen.«
Die Brücke, die mindestens eine Dreiviertelmeile lang sein mußte, mochte seit mehr als tausend Jahren nicht mehr richtig gewartet worden sein, aber Roland vermutete, daß die fundamentale Zerstörung erst vor rund fünfzig Jahren eingesetzt haben dürfte. Die Aufhängungen der rechten Seite waren nach und nach gerissen, und daher hatte sich die Brücke immer weiter nach links geneigt. Die schlimmste Verzerrung hatte in der Mitte stattgefunden, zwischen den hundertzwanzig Meter hohen Kabeltürmen. An der Stelle, wo der Druck am größten war, zog sich eine klaffende, augenförmige Öffnung über die Ebene. Der Riß im Fußweg war schmaler, aber dennoch waren mindestens zwei angrenzende Betonsegmente in den Send gestürzt und hatten ein etwa sechs bis acht Meter breites Loch hinterlassen. Dort konnten sie deutlich das rostige Kabel oder die Strebe sehen, die den Fußweg stützte. Die würden sie benützen müssen, um die Lücke zu überqueren.
»Ich glaube, wir können hinüber«, sagte Roland und deutete gelassen mit dem Finger. »Die Lücke ist ein Ärgernis, aber das Geländer ist noch da, also können wir uns wenigstens festhalten.«
Eddie nickte, aber er konnte spüren, wie sein Herz heftig schlug. Die freiliegende Tragstütze des Fußwegs sah wie ein großes Rohr aus Stahlsegmenten aus und war oben rund einen Meter breit. Er sah vor seinem geistigen Auge, wie sie sich hinübertasteten, die Füße auf dem leicht gekrümmten Kabel, die Hände am Geländer, während die Brücke langsam schwankte wie ein Schiff bei schwachem Seegang.
»Herrgott«, sagte er. Er versuchte zu spucken, aber es kam nichts heraus. Sein Mund war zu trocken. »Bist du sicher, Roland?«
»Soweit ich sehen kann, ist es der einzige Weg.« Roland deutete flußabwärts, wo Eddie eine zweite Brücke sah. Diese war schon vor langer Zeit in den Send gestürzt. Die Überreste ragten als rostiges Durcheinander uralten Stahls aus dem Wasser.
»Was ist mir dir, Jake?« fragte Susannah.
»He, überhaupt kein Problem«, sagte Jake wie aus der Pistole geschossen. Er lächelte sogar.
»Ich hasse dich, Bengel«, sagte Eddie.
Roland sah Eddie besorgt an. »Wenn du glaubst, daß du es nicht schaffst, sag es gleich. Geh nicht halb rüber und bleib dann starr vor Angst stehen.«
Eddie sah lange über die verschobenen Flächen der Brücke, dann nickte er. »Ich glaube, ich schaffe es. Große Höhe ist noch nie meine starke Seite gewesen, aber ich denke, ich komm rüber.«
»Gut.« Roland sah sie alle an. »Je früher, desto besser. Ich gehe mit Susannah zuerst. Dann Jake, Eddie als Nachhut. Kommst du mit dem Rollstuhl klar?«
»Kein Problem«, sagte Eddie zappelig.
»Dann los.«
10
Kaum hatte er den Fußweg betreten, füllte Angst Eddies hohle Stellen aus wie kaltes Wasser, und er fragte sich, ob er nicht einen sehr gefährlichen Fehler gemacht hatte. Vom festen Boden aus schien die Brücke nur ein klein wenig zu schwanken, aber als er richtig darauf stand, kam er sich vor wie auf dem Pendel der größten Standuhr der Welt. Die Bewegung war sehr langsam, aber sie war regelmäßig, und die Länge der Schwingungen war viel größer, als er erwartet hatte. Die Oberfläche des Fußwegs war rissig und mindestens zehn Grad nach links geneigt. Seine Füße knirschten auf losen Stellen staubigen Betons, und das leise Knirschen der Betonsegmente, die aneinander rieben, war konstant. Hinter der Brücke kippte die Silhouette der Stadt langsam hin und her wie der künstliche Horizont des langsamsten Videospiels der Welt.
Über ihnen heulte der Wind unablässig in den straffen Aufhängungen. Unter ihnen fiel der Boden schroff zum schlammigen Nordwestufer des Flusses ab. Er war zehn Meter hoch… dann zwanzig… dann fünfunddreißig. Bald würde er über dem Wasser sein. Der Rollstuhl schlug ihm bei jedem Schritt gegen das linke Bein.
Etwas Pelziges strich zwischen seinen Beinen hindurch; er hangelte panisch mit der rechten Hand nach dem rostigen Geländer und konnte eben noch einen Aufschrei unterdrücken. Oy ging mit einem kurzen Blick nach oben an ihm vorbei, als wollte er sagen:
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