Der Dunkle Turm 3 - Tot
versucht, die ganze Welt niederzubrüllen.«
Der Revolvermann nickte, ließ Eddie aber nicht aus den Augen. »Nun gut… aber bist du ganz sicher, daß du mir nichts erzählen willst, Eddie?«
Da dachte er darüber nach – dachte wirklich darüber nach, ob er es ihm sagen sollte. Was er im Feuer gesehen hatte, was er in seinem Traum gesehen hatte. Er entschied sich dagegen. Vielleicht nur wegen der Erinnerung an die Rose im Feuer und die Rosen, die das Feld seines Traumes so überreich bedeckt hatten. Er wußte, er konnte das alles nicht schildern, wie es sein Auge geschaut und sein Herz empfunden hatte; er konnte es nur entweihen. Und zumindest vorläufig wollte er noch ungestört und allein über alles nachdenken.
Aber vergiß nicht, sagte er sich wieder… nur klang die Stimme in seinem Kopf gar nicht wie seine eigene. Sie schien tiefer, älter – die Stimme eines Fremden. Vergiß nicht die Rose… und die Form des Schlüssels.
»Werde ich«, murmelte er.
»Was wirst du?« fragte Roland.
»Erzählen«, sagte Eddie. »Wenn mir etwas einfällt, weißt du, das echt wichtig zu sein scheint. Dann sage ich es dir. Euch beiden. Momentan ist das nicht der Fall. Also wenn wir weiterziehen wollen, Shane, alter Kumpel, dann sattle auf.«
»Shane? Wer ist dieser Shane?«
»Das erzähle ich dir auch ein andermal. Bis dahin, laß uns gehen.«
Sie packten die Ausrüstung zusammen, die sie vom alten Lager mitgebracht hatten, und machten sich auf den Rückweg. Susannah fuhr wieder mit ihrem Rollstuhl. Eddie hatte eine Ahnung, daß sie nicht mehr sehr lange damit fahren würde.
21
Bevor Eddie sich so sehr für Heroin interessierte, daß ihm alles andere gleichgültig war, waren er und ein paar Freunde einmal nach New Jersey zu einem Konzert verschiedener Speed-Metal-Gruppen gefahren – Anthrax und Megadeath –, die im Meadowlands spielten. Er glaubte, daß die Jungs von Anthrax ein wenig lauter gewesen waren als die wiederholte Ansage aus dem Bären, war aber nicht hundertprozentig sicher. Roland machte eine halbe Meile von ihrem Lager entfernt Rast und riß sechs kleine Fetzen aus seinem alten Hemd. Diese steckten sie sich in die Ohren und gingen weiter. Aber nicht einmal diese Stöpsel konnten den donnernden Lärm abhalten.
»DIESER MECHANISMUS WIRD ABGESCHALTET!« plärrte der Bär, als sie die Lichtung wieder betraten. Er lag wie zuvor unter dem Baum, auf den Eddie geklettert war, ein gestürzter Koloß mit gespreizten Beinen und in die Luft gestreckten Knien, der aussah wie eine pelzige Riesin, die beim Gebären gestorben war. »ABSCHALTUNG VOLLSTÄNDIG IN SIEBENUNDVIERZIG MINUTEN! ES BESTEHT KEINE GEFAHR…«
O doch, dachte Eddie, der die Felle einsammelte, welche nicht beim Angriff des Bären oder bei seinen Todeszuckungen zerfetzt worden waren. Große Gefahr. Für meine Ohren. Er hob Rolands Revolvergurt auf und reichte ihn vorsichtig weiter. Das Stück Holz, an dem er gearbeitet hatte, lag in der Nähe; er hob es auf und steckte es in seine Tasche an der Rückenlehne von Susannahs Rollstuhl, während der Revolvermann langsam den breiten Ledergurt um die Taille knöpfte und die Wildlederschürze festzurrte.
»… BEFINDEN SICH IN DER ABSCHALTPHASE, EINE SUBNUKLEARE ZELLE LÄUFT MIT ZWEI PROZENT KAPAZITÄT. DIESE ZELLEN…«
Susannah, die einen Tragebeutel auf dem Schoß trug, den sie selbst genäht hatte, folgte Eddie. Als Eddie ihr die Felle gab, stopfte sie sie in die Tasche. Als alle verstaut waren, stupste Roland Eddie am Arm an und gab ihm einen Rucksack. Darin befand sich größtenteils Wildfleisch, das sie mit Salz gepökelt hatten, das Roland in einem natürlichen Vorkommen drei Meilen bachaufwärts gefunden hatte. Der Revolvermann hatte bereits ein ähnliches Bündel umgeschnallt. Seine Tasche, die wieder mit allem möglichen Krimskrams gefüllt war, hing über der anderen Schulter.
Ein seltsamer, selbstgefertigter Harnisch mit einem Sitz aus zusammengenähten Hirschhäuten hing in der Nähe an einem Ast. Roland betrachtete ihn einen Moment, dann streifte er ihn über den Rücken und knotete die Gurte auf der Brust zusammen. Susannah verzog gallig das Gesicht, was Roland nicht entging. Er versuchte nicht zu sprechen – so nahe bei dem Bären hätte er sich nicht einmal verständlich machen können, wenn er aus Leibeskräften gebrüllt hätte –, aber er zuckte mitfühlend die Achseln und breitete die Arme aus: Du weißt, wir werden ihn brauchen.
Sie zuckte ebenfalls die Achseln.
Weitere Kostenlose Bücher