Der Dunkle Turm 3 - Tot
dachte, er hätte immer noch sieben Minuten«, meinte Eddie.
Roland ruckte die Gurte des Halfters zurecht. »Im Lauf der letzten fünf- oder sechshundert Jahre muß seine Uhr ein wenig nachgegangen sein.«
»Glaubst du wirklich, daß er so alt war, Roland?«
Roland nickte. »Mindestens. Und jetzt ist er tot… der letzte der Zwölf Wächter, soviel ich weiß.«
»Frag mich mal, ob mir das nicht scheißegal ist«, antwortete Eddie, worauf Susannah lachte.
»Sitzt du bequem?« fragte Roland sie.
»Nein. Mein Hintern tut schon weh, aber nur weiter. Versuch nur, mich nicht fallen zu lassen.«
Roland nickte und ging den Hang hinab. Eddie folgte; er schob den leeren Rollstuhl und versuchte, ihn nicht allzu sehr gegen die Felsen zu stoßen, die allmählich wie weiße Knöchel aus dem Boden ragten. Nachdem der Bär endlich verstummt war, wirkte der Wald noch stiller; er kam sich fast vor wie ein Darsteller in einem billigen alten Dschungelfilm voller Kannibalen und Riesenaffen.
23
Die Spur des Bären war leicht zu finden, aber man konnte ihr nicht so leicht folgen. Bis zu einer Entfernung von rund fünf Meilen von der Lichtung führte sie durch ein flaches, marschiges Gelände. Als der Boden wieder anstieg und ein wenig fester wurde, waren Rolands verblichene Jeans bis zu den Knien durchnäßt, und er atmete mit langen, keuchenden Zügen. Dennoch war er in etwas besserer Verfassung als Eddie, der hatte feststellen müssen, daß es Schwerstarbeit bedeutete, Susannahs Rollstuhl durch den Schlamm zu karren.
»Es wird Zeit, auszuruhen und etwas zu essen«, sagte Roland.
»O Mann, was zu futtern«, schnaufte Eddie. Er half Susannah aus dem Harnisch und setzte sie auf die Wurzel eines umgestürzten Baums, in dessen Stamm Krallenspuren lange diagonale Furchen bildeten. Dann setzte er sich halb neben sie, halb brach er zusammen.
»Hast mein Rollstuhl ziemlich dreckig gemacht, weißer Bengel«, sagte Susannah. »Wird alles in meinem Bericht stehn.«
Er sah sie mit hochgezogenen Brauen an. »Bei der nächsten Waschanlage schieb ich dich persönlich durch. Ich werd’ das verdammte Ding sogar einwachsen, Okay?«
Sie lächelte. »Abgemacht, Hübscher.«
Eddie hatte einen von Rolands Wasserschläuchen um die Taille gebunden. Er klopfte darauf. »Okay?«
»Ja«, sagte Roland. »Aber jetzt nicht zuviel; etwas mehr für uns alle, bevor wir weiterziehen. Auf die Weise bekommt keiner einen Krampf.«
»Roland, der Pfadfinder von Oz«, sagte Eddie und kicherte, während er den Wasserschlauch abschnallte.
»Was ist Oz?«
»Ein Phantasieland in einem Film«, sagte Susannah.
»Oz war viel mehr als das. Mein Bruder Henry hat mir die Geschichten ab und zu vorgelesen. Eines Abends werde ich sie dir einmal erzählen, Roland.«
»Das wäre schön«, antwortete der Revolvermann ernst. »Ich sehne mich danach, mehr über eure Welt zu erfahren.«
»Oz ist aber nicht unsere Welt. Wie Susannah gesagt hat, es ist ein Phantasieland…«
Roland reichte ihnen Fleischstücke, die er in irgendwelche breiten Blätter eingewickelt hatte. »Am schnellsten lernt man etwas über einen neuen Ort, wenn man seine Träume kennt. Ich würde gerne von diesem Oz hören.«
»Okay, das ist abgemacht. Suze kann dir von Dorothy und Toto und dem Blechholzfäller erzählen, und ich erzähle dir den Rest.« Er biß in sein Fleischstück und verdrehte genüßlich die Augen. Es hatte den Geschmack der Blätter angenommen, in die es eingewickelt war, und schmeckte köstlich. Eddie schlang seine Ration hinunter, und sein Magen knurrte die ganze Zeit. Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, fühlte er sich prächtig – sogar großartig. Er entwickelte eine dicke Muskelschicht, und jeder Teil seines Körpers schien friedlich mit jedem anderen Teil zusammenzuleben.
Keine Bange, dachte er. Heute abend wird wieder alles ein Schmerz sein. Ich glaube, er wird durchmarschieren, bis ich tot umfalle.
Susannah aß bedächtiger, spülte jeden zweiten oder dritten Bissen mit einem Schluck Wasser hinunter, drehte das Fleisch in der Hand und aß sich von außen nach innen durch. »Erzähl weiter, was du gestern abend angefangen hast«, forderte sie Roland auf. »Du hast gesagt, du glaubst allmählich, daß du deine unvereinbaren Erinnerungen verstehst.«
Roland nickte. »Ja. Ich glaube, beide Erinnerungen sind wahr. Eine ist etwas wahrer als die andere, aber das negiert die Wahrheit der anderen nicht.«
»Versteh ich nicht«, sagte Eddie. »Entweder war dieser
Weitere Kostenlose Bücher