Der Dunkle Turm 3 - Tot
Junge Jake im Rasthaus, oder er war es nicht, Roland.«
»Es ist ein Paradox – etwas, das ist und gleichzeitig nicht ist. Bis es geklärt ist, werde ich weiterhin zweigeteilt sein. Das ist schlimm genug, aber die grundsätzliche Kluft wird immer breiter. Ich kann es spüren. Es ist… unaussprechlich.«
»Was meinst du, ist dafür verantwortlich?« fragte Susannah.
»Ich habe euch gesagt, der Junge wurde vor ein Auto gestoßen. Gestoßen. Und wen kennen wir, der Leute gern vor etwas gestoßen hat?«
Begreifen dämmerte auf ihrem Gesicht. »Jack Mort. Willst du damit sagen, er war derjenige, der diesen Jungen auf die Straße gestoßen hat?«
»Ja.«
»Aber du hast gesagt, der Mann in Schwarz hat es getan«, wandte Eddie ein. »Dein Freund Walter. Du hast gesagt, der Junge hat ihn gesehen – einen Mann, der wie ein Priester ausgesehen hat. Hat der Junge nicht sogar gehört, daß er einer war? ›Lassen Sie mich durch, ich bin Priester‹, oder so?«
»Oh, Walter war dort. Sie waren beide dort und haben Jake beide gestoßen.«
»Bringt mal jemand Thorazin und eine Zwangsjacke«, rief Eddie. »Roland ist gerade übergeschnappt.«
Roland schenkte dem keine Beachtung; er war zur Einsicht gelangt, daß Eddies Witze und Albernheiten seine Art waren, mit Streß fertig zu werden. Cuthbert war nicht viel anders gewesen… wie sich Susannah auf ihre Weise nicht so sehr von Alain unterschied. »Was mir am meisten dabei zu schaffen macht«, sagte er, »ich hätte es wissen müssen. Schließlich war ich in Jack Mort und hatte Zugang zu seinen Gedanken, wie ich Zugang zu deinen hatte, Eddie, und deinen, Susannah. Ich sah Jake, als ich in Mort war. Ich sah ihn durch Morts Augen, und ich wußte, Mort wollte ihn stoßen. Nicht nur das, ich habe ihn gehindert, es zu tun. Ich mußte nur in seinen Körper eindringen. Nicht, daß er gewußt hätte, worum es sich handelte; er konzentrierte sich so sehr auf sein Vorhaben, daß er dachte, ich wäre eine Fliege, die auf seinem Nacken gelandet war.«
Eddie fing an zu verstehen. »Wenn Jake nicht auf die Straße gestoßen wurde, ist er nie gestorben. Und wenn er nie gestorben ist, ist er nie in diese Welt gekommen. Und wenn er nie in diese Welt gekommen ist, hast du ihn auch nicht in dem Rasthaus treffen können. Richtig?«
»Richtig. Mir ging sogar der Gedanke durch den Kopf, wenn Jack Mort den Jungen töten wollte, dann müßte ich es zulassen. Um eben das Paradoxon zu vermeiden, das mich zerreißt. Aber das konnte ich nicht. Ich… ich…«
»Du hättest diesen Jungen nicht zweimal töten können, richtig?« fragte Eddie leise. »Jedesmal, wenn ich gerade wieder überzeugt bin, daß du etwa so mechanisch wie dieser Bär bist, überraschst du mich mit etwas, das wirklich und wahrhaftig menschlich ist. Gottverdammt.«
»Hör auf, Eddie«, sagte Susannah.
Eddie warf einen Blick auf den Revolvermann und dessen leicht abwärts geneigtes Gesicht und schnitt eine Grimasse. »Tut mir leid, Roland. Meine Mutter hat immer gesagt, daß mein Mund die schlechte ‘ Angewohnheit hat, daß er meistens schneller als das Gehirn ist.«
»Schon gut. Ich hatte einmal einen Freund, bei dem war es genau so.«
»Cuthbert?«
Roland nickte. Er betrachtete lange Zeit die beiden verbliebenen Finger seiner rechten Hand, dann ballte er sie unter Schmerzen zur Faust, seufzte und sah wieder zu seinen beiden Gefährten auf. Irgendwo tiefer im Wald sang lieblich eine Lerche.
»Ich glaube folgendes: Wenn ich nicht in Jack Mort eingedrungen wäre, hätte er Jake an diesem Tag trotzdem nicht gestoßen. Da nicht. Warum nicht? Ka-tet. Ganz einfach. Zum erstenmal, seit der letzte der Freunde starb, mit denen ich zu dieser Reise aufgebrochen bin, war ich wieder einmal im Zentrum von Ka-tet«.
»Quartet?« fragte Eddie zweifelnd.
Der Revolvermann schüttelte den Kopf. »Ka – das Wort, das in eurer Sprache ›Schicksal‹ bedeutet, Eddie, obwohl die eigentliche Bedeutung weitaus komplexer und schwerer zu definieren ist, wie das häufig bei Wörtern der Hochsprache der Fall ist. Und tet bedeutet eine Gruppe Menschen mit denselben Interessen und Zielen. Wir drei sind zum Beispiel ein tet. Und Ka-tet ist ein Ort, wo viele Leben vom Schicksal verknüpft sind.«
»Wie in Die Brücke von San Luis Key«, murmelte Susannah.
»Was ist das?« fragte Roland.
»Eine Geschichte über ein paar Menschen, die gemeinsam sterben, als die Brücke einstürzt, die sie überqueren. Sie ist in unserer Welt berühmt.«
Roland
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