Der Dunkle Turm 3 - Tot
der kalten Haut der Stirn eines Kranken schwelt.
Es war etwas wie ein Wurm. Ein bohrender Wurm. Und ein Schemen. Einer, der gerade hinter der nächsten Straßenbiegung lauert.
Dann öffnete sich das Herz der Rose für ihn und enthüllte grelles gelbes Licht, und jegliches Denken wurde von einer Woge des Staunens fortgespült. Jake dachte einen Moment, er sähe lediglich Pollen, die vom selben übernatürlichen Leuchten durchdrungen waren, das jeden Gegenstand auf diesem einsamen Brachland erfüllte – er dachte es, obwohl er noch nie von Pollen in einer Rose gehört hatte. Er beugte sich darüber und stellte fest, daß der konzentrierte Kreis gelben Leuchtens überhaupt keine Pollen waren. Es war eine Sonne. Eine gewaltige Glut, die in der Mitte dieser Rose wuchs, welche dem purpurnen Gras entsprang.
Die Angst stellte sich wieder ein, aber nun war sie regelrechtes Entsetzen. Es ist richtig, dachte er. Alles hier ist richtig, aber es könnte schiefgehen – ich glaube, es hat sogar schon angefangen schiefzugehen. Ich darf soviel von diesem Falschen empfinden, wie ich ertragen kann… aber was ist es? Und was kann ich tun?
Es war so etwas wie ein Wurm.
Er konnte spüren, daß dieser wie ein krankes und verschmutztes Herz schlug, im Widerstreit mit der erhabenen Schönheit der Rose lag, schrille Obszönitäten in den Chor der Stimmen schrie, der ihn so sehr beruhigt und erfüllt hatte.
Er beugte sich noch dichter über die Rose und stellte fest, daß deren Kern nicht nur aus einer Sonne bestand, sondern aus vielen… möglicherweise aus allen Sonnen, die in dieser wilden und doch empfindlichen Hülle gefangen waren.
Aber es ist falsch. Es ist alles in Gefahr.
Er wußte, es würde mit größter Wahrscheinlichkeit seinen Tod bedeuten, wenn er diesen glühenden Mikrokosmos berührte, war aber außerstande, es zu unterlassen, und daher streckte Jake die Hand aus. Weder Neugier noch Angst lösten diese Geste aus; nur das gewaltige, unausgesprochene Bedürfnis, die Rose zu beschützen.
18
Als er wieder zu sich kam, stellte er zuerst nur fest, daß eine lange Zeitspanne verstrichen war und er teuflische Kopfschmerzen hatte.
Was ist passiert? Bin ich überfallen worden?
Er drehte sich herum und richtete sich auf. Ein weiterer Stachel des Schmerzes bohrte sich durch seinen Kopf. Er hob eine Hand zur linken Schläfe und zog die Finger wieder weg; sie waren klebrig von Blut. Er sah nach unten und erblickte einen Backstein, der aus dem Unkraut herausragte. Eine Ecke war dunkel rot.
Wenn er scharfkantig gewesen wäre, wäre ich jetzt wahrscheinlich tot oder im Koma.
Er betrachtete sein Handgelenk und stellte überrascht fest, daß er die Armbanduhr noch trug. Es war eine Seiko, nicht besonders teuer, aber in dieser Stadt döste man nicht auf unbebauten Grundstücken, ohne seine Habseligkeiten zu verlieren. Teuer oder nicht, irgend jemand war bestimmt glücklich, wenn er sie einem abnehmen konnte. Diesmal, schien es, hatte er selbst Glück gehabt.
Es war Viertel nach vier Uhr nachmittags. Er hatte hier mindestens sechs Stunden gelegen, von der Welt unbeachtet. Mittlerweile ließ sein Vater wahrscheinlich die Polizei nach ihm suchen, aber das schien nicht besonders wichtig zu sein. Jake kam es so vor, als hätte er die Piper School vor schätzungsweise tausend Jahren unerlaubt verlassen.
Jake ging zum Bretterzaun zwischen dem unbebauten Grundstück und dem Gehweg der Second Avenue und blieb stehen.
Was war eigentlich genau mit ihm passiert?
Nach und nach kehrten die Erinnerungen zurück. Er war über den Zaun gehüpft. Ausgerutscht und hatte sich den Knöchel gestaucht. Er griff nach unten, berührte ihn und zuckte zusammen. Ja – das war alles passiert. Und dann? – Etwas Magisches.
Er tastete nach diesem Etwas wie ein alter Mann, der sich durch ein dunkles Zimmer tastet. Alles war von einem inneren Licht erfüllt gewesen. Alles – sogar die zerknüllten Papierverpackungen und eine weggeworfene Bierflasche. Stimmen waren erklungen – sie hatten gesungen und Tausende verflochtene Geschichten erzählt.
»Und Gesichter«, murmelte er. Angesichts dieser Erinnerung drehte er sich mit mulmigem Gefühl um. Er sah keine Gesichter. Die Backsteinhaufen waren nur Backsteinhaufen, und das verfilzte Unkraut war nur verfilztes Unkraut. Da waren keine Gesichter, aber…
… aber sie sind hiergewesen. Das hast du dir nicht eingebildet.
Das glaubte er. Er konnte die Essenz der Erinnerung nicht einfangen, die ihr
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