Der Dunkle Turm 4 - Glas
Sonne zogen. Depape, der seinen Steigbügel mittlerweile gerichtet zu haben schien, warf Reynolds einen unruhigen Blick zu. Reynolds reagierte nicht darauf. Wozu auch? Wenn Eldred jetzt durchdrehte (und Reynolds hatte so etwas schon früher erlebt), konnten sie sowieso nicht rechtzeitig vom Schlachtfeld entkommen.
»Eldred, wir haben noch ziemlich viel zu tun.«
Reynolds sagte es leise, aber es schien zu Jonas durchzudringen. Er richtete sich auf. Er nahm den Hut ab, hängte ihn an den Sattel, als wäre der Knauf ein Kleiderhaken, und strich sich mit den Fingern geistesabwesend durchs Haar.
»Yar – ziemlich viel trifft es genau. Reite da runter. Sag Quint, er soll Ochsen kommen lassen und die beiden letzten Tankwagen zum Hanging Rock ziehen. Er soll vier Männer bei sich behalten, die sie anschirren sollen, um sie dann zu Latigo zu bringen. Die anderen können nach Hause.«
Reynolds hielt es jetzt für sicher, eine Frage zu stellen. »Wann kommen die restlichen Männer von Latigo hierher?«
»Männer?!«, schnaubte Jonas. »Das hätten wir wohl gern, Freundchen! Die restlichen Knaben von Latigo reiten im Mondschein zum Hanging Rock, zweifellos mit wehenden Fahnen, damit all die Kojoten und andere wohl sortierte Wüstenhunde sie sehen und vor Ehrfurcht erstarren können. Vermutlich werden sie morgen um zehn bereit sein für die Eskorte… wenn sie allerdings die Burschen sind, für die ich sie halte, dürften Pannen an der Tagesordnung sein. Die gute Nachricht ist wenigstens, dass wir sie sowieso kaum brauchen werden. Es sieht alles ziemlich gut aus. Und jetzt geh da runter, erklär ihnen, was sie zu tun haben, und komm so schnell wie möglich wieder zu mir zurück.«
Jonas drehte sich um und sah zu den geschwungenen Hügeln im Nordwesten.
»Wir haben auch noch was zu erledigen«, sagte er. »Je früher, Jungs, desto besser. Ich will so schnell wie möglich den Staub dieses verfluchten Mejis von Hut und Stiefeln schütteln. Mir gefällt die Luft hier nicht mehr. Ganz und gar nicht mehr.«
9
Die Frau, Theresa Maria Dolores O’Shyven, war vierzig Jahre alt, untersetzt, hübsch, Mutter von vier Kindern, Frau des Peter, eines vaquero mit fröhlichem Gemüt. Außerdem verkaufte sie Teppiche und Vorhänge auf dem Obermarkt; viele der hübscheren und feineren Dekorationen waren durch Theresa O’Shyvens Hände gegangen, und ihre Familie war recht wohlhabend. Auch wenn ihr Mann ein Cowboy war, hätte man den O’Shyven-Clan zu anderer Zeit, an einem anderen Ort, als Mittelschicht bezeichnen können. Die beiden ältesten Kinder waren erwachsen und bereits aus dem Haus, eines hatte sogar die Baronie verlassen. Das drittälteste ging auf Freiersfüßen und hoffte, seine Herzallerliebste am Jahresendetag heiraten zu können. Nur das jüngste vermutete, dass mit Ma etwas nicht stimmte, aber auch dieses Kind hatte keine Ahnung, dass Theresa kurz davor war, zu einer vollständigen Zwangsneurotikerin zu werden.
Bald, dachte Rhea und beobachtete Theresa gebannt in der Kugel. Sie wird bald damit anfangen, aber vorher muss sie sich den Balg vom Hals schaffen.
Am Erntetag blieb die Schule geschlossen, und die Verkaufsstände öffneten nur für wenige Stunden am Nachmittag, daher schickte Theresa ihre jüngste Tochter mit einem Kuchen fort. Ein Erntegeschenk für eine Nachbarin, wie Rhea vermutete, obwohl sie die lautlosen Anweisungen nicht hören konnte, die die Frau ihrer Tochter mit auf den Weg gab, während sie dem Mädchen eine Strickmütze über den Kopf zog. Und es würde auch keine unmittelbare Nachbarin sein; sie brauchte Zeit, die brauchte Theresa Maria Dolores O’Shyven; Zeit für die Hausarbeit. Es war ein großes Haus mit vielen Ecken und Winkeln, die alle geputzt werden wollten.
Rhea kicherte; das Kichern wurde zu einem hohlen Hustenanfall. In der Ecke sah Musty die alte Frau gequält an. Musty war zwar nicht zu dem ausgemergelten Skelett abgemagert, das seine Herrin geworden war, sah aber gar nicht gut aus.
Das Mädchen verließ mit dem Kuchen unter dem Arm das Haus; es blieb stehen, warf seiner Mutter noch einen einzigen besorgten Blick zu, und dann wurde ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen.
»Jetzt!«, krächzte Rhea. »Die Ecken und Winkel warten! Auf die Knie, Weib, und fang endlich an!«
Zuerst ging Theresa zum Fenster. Als sie zufrieden war mit dem, was sie sah – wahrscheinlich ihre Tochter, die zum Tor hinaus auf die Hauptstraße ging –, drehte sie sich zu ihrer Küche um. Sie
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